© 2010 Reiner Wandler

Was lange gärt

Ausgerechnet zum Auftakt des längsten Wochenendes des Jahres liefern sich die spanischen Fluglotsen und die Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero eine Kraftprobe. Am Freitag, als über 250.000 Menschen einen Flug in den Kurzurlaub über den Verfassungstag (heute, Montag) und die Santa Maria Immacolata (Mittwoch) nehmen wollten, meldeten sich die Fluglotsen reihenweise krank. Innerhalb weniger Stunden brach der gesamte spanische Flugverkehr zusammen. Die Lotsen reagierten damit auf eine erneute Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen. Die sozialistische Regierung hatte wenige Stunden zuvor per Dekret eine Arbeitszeitverlängerung von 30 Prozent angeordnet. Bereits im Sommer waren die Gehälter der 2.400 Lotsen um 40 Prozent gekürzt worden. Das Dekret greift in bisher unfruchtbare Tarifverhandlungen zwischen dem staatlichen Flughafenbetreiber AENA und der Fluglotsengewerkschaft USCA ein.
Die Regierung rechnete wohl mit dem Unmut der Betroffenen: Denn in eben jenem Dekret ist auch festgelegt, wie etwaige Proteste, wie massive Krankmeldungen oder Streik, gebrochen werden sollen – mit Hilfe der Armee. Zapatero unterstellte am Freitag Abend den Luftraum der Luftwaffe. Als auch das nichts nutze, rief er am Samstag den Notstand aus, und unterstellte die Lotsen damit dem Militärrecht – ein einmaliger Vorgang seit Ende der Franco-Diktatur.
Wer nicht zur Arbeit erscheine, dem drohe Haftstrafen von bis zu 12 Jahren wegen „Aufstand“ und „Befehlsverweigerung“, kündigte die Regierung an. Viele Lotsen kehrten daraufhin an den Arbeitsplatz zurück. Doch wird es – so die Fluggesellschaften – bis mindestens heute, Montag dauern, bis wieder Normalität an Spaniens Himmel herrscht. „Wer den Staat herausfordert verliert“, triumphiert Innenminister und Vizeregierungschef Alfredo Pérez Rubalcaba, der als Nachfolger des angeschlagenen Zapatero gehandelt wird.
Die Kürzungen bei den Lotsen soll die Kosten des Flugbetriebes senken. Im Jahr 2007 zählten die spanischen Fluglotsen mit einem Durchschnittsgehalt von 350.000 Euro jährlich, zu den Spitzenverdienern in Europa. Eine Stunde kostete Flughafenbetreiber AENA 191 Euro. Nach der Gehaltskürzung um 40 Prozent und der Arbeitszeitverlängerung von 1200 auf 1670 Stunden pro Jahr, beziehen die spanischen Lotsen 200.000 Euro und die Stunde kostet nur noch 99 Euro. Damit liegt Spanien im europäischen Schnitt. Dieser beläuft sich auf 120.000 Euro im Jahr bei rund 1.300 Stunden.
„Das Allgemeininteresse steht über dem Partikularinteresse“, verteidigt der Minister für öffentliche Arbeiten, Pepe Blanco, diese Einschnitte. Das Ministerium hat einige Kontrolltürme kleinerer Flughäfen automatisiert und andere privatisiert. Doch was die Lotsen am meisten verärgert: Künftig sollen Krankheit und gewerkschaftliche Freistellungen nicht mehr auf die Jahresarbeitszeit angerechnet werden. „Uns wurde per Dekret die Erholungspausen gestrichen. Wir werden gezwungen 365 Tage pro Jahr 24 Stunden am Tag zur Verfügung zu stehen“, beschwert Fluglotsin Cristina Antón aus Palma de Mallorca auf ihrem blog, in dem sie versucht gegen die Pressekampagne, die Lotsen seien eine „privilegierte Kaste“ anzuschreiben.
Der Wunsch der Regierung Kosten bei der Abwicklung der Flüge zu senken, kommt nicht von ungefähr. Im selben Dekret, mit dem Zapatero die Lotsen endgültig verärgerte, ist auch von Teilprivatisierungen die Rede, um die leere Staatskasse zu füllen. Unter anderem stehen 49 Prozent des Flughafenbetreibers AENA zum Verkauf.
Zapatero hofft auf einen Erlös von bis zu 9 Milliarden Euro. Außerdem wird AENA erlaubt, die rentablen Großflughäfen Madrid und Barcelona ganz in Unternehmerhand zu geben. Die Verpachtung könnte AENA in den kommenden 30 bis 40 Jahren 14 Milliarden Euro einbringen. AENA wird so zum Schnäppchen für die Wirtschaft.
Meine Meinung
Vorwärts Marsch im alten Geist
Wie lenkt man von der Streichung der Hilfe für Langzeitarbeitlosen oder einer geplanten Rentenreform ab? Die Antwort ist einfach: Mit Populismus und Sozialneid. Spaniens sozialistischer Premier, José Luis Rodríguez Zapatero, und sein Stellvertreter, Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba, haben das am Wochenende vorgeführt. Ausgerechnet zum Auftakt des längsten Kurzurlaubswochenende wurde per Dekret eine Arbeitszeitverlängerung für die Fluglotsen erlassen. Diese reagierten empört und meldeten sich reihenweise krank. Der Luftverkehr brach komplet zusammen.
„Unsoldidarische Priveligierte“ ja „Kriminelle“ seien die Lotsen, die bereits im Sommer 40 Prozent ihres Gehalts gestrichen bekommen haben. „Sie haben die Bevölkerung als Geiseln genommen“, stimmten Politiker, Prominente und Journalisten, die auf einem der spanischen Flughäfen festhingen, bereitwillig ein und forderten einen Militäreinsatz.
Zapatero und Rubalcaba zögerten nicht. Sie verkündete den Notstand und unterstellte die Lotsen der Militärgesetzgebung. Diese knickten angesichts der drohenden Haftstrafen ein.
Seit heute vor genau 32 Jahren nach Jahrzehnten der Diktatur die Verfassung in Kraft trat, hat Spanien so etwas nicht gesehen. Kritik gab es dennoch so gut wie keine. Rubalcaba, der als Nachfolger des angeschlagenen Zapateros gehandelt wird, beweist, dass er die Mentalität der Spanier kennt. Trotz harter Sparmaßnahmen, um Steuerlöcher zu stopfen und Milliardenhilfen an Banken und Industrie zu bezahlen, bleiben große Proteste aus. Der moderne Bürger sieht sich nicht als Lohnabhängiger, sondern als Konsument. „Wir haben das Recht zu reisen“, lautete eines der populärsten Statements in den Warteschlangen.
Nur die winzige, linke Immigrantengewerkschaft Spaniens formulierte die Frage, die sich eigentlich aufdrängen müßte: „Wenn sie das mit Arbeitern machen, die auf der sozialen Leiter oben stehen, was passiert, wenn es zu breiten Protesten von prekären Arbeitern kommt?“

Was bisher geschah: