© 2010 Reiner Wandler

Der Mann im Schatten

„Der ‚Präsident‘ besucht Afghanistan“, titelt die konservative Tageszeitung ABC gestern. Die Rede ist nicht etwa vom spanischen Regierungspräsident José Luis Rodríguez Zapatero sondern von seinem Stellvertreter, Regierungssprecher und Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba. Im dunklen Anzug schritt er am Sonntag die Reihen der in Afghanistan stationierten, spanischen Guardia Civil ab. Ganz staatsmännisch lobte er die „guten Spanier“ dort am Hindukusch. Die Zeitungen waren voll von Bildern des weihnachtlichen Blitzbesuchs. Die der sozialistischen PSOE nahestehenden Medien lobten Rubalcaba. Die oppositionellen Medien suchten verzweifelt einen kritischen Unterton in die Berichterstattung zu bringen.

Seit Innenminister Rubalcaba vergangenen Herbst zum Vizeregierungschef und Sprecher des durch Krise und Generalstreik angeschlagenen Kabinetts rund um Zapatero aufstieg, reißen die Gerüchte nicht ab, der 59-jährige Doktor der Chemie könnte anstatt seines immer unbeliebteren Chefs zum Kandidaten bei den – spätestens – im Jahre 2012 anstehenden spanischen Parlamentswahlen antreten.

Den Startschuss zu die Spekulationen hatte im Frühsommer eine lange Reportage mit persönlichen Fotos in der Wochenendillustrierten der größten spanischen Tageszeitung El País gegeben. Als 100-Meter-Läufer, Mann mit Prinzipien und erfahrener Haudegen der nationalen und internationalen Politik wurde der Sohn eines franquistischen Kriegspiloten und Enkel eines Republikaners, der sich sein Leben lang der sozialistischen Parteipolitik widmet, gelobt.

Jetzt wo der angeschlagene Zapatero nur noch in Ausnahmefällen Termine wahrnimmt, zeigt Rubalcaba, was in ihm steckt. Er managt die verschiedenen Krisen. Seinen größten Auftritt hatte der einstige Bildungsminister und spätere Chef des Präsidentialamts unter Felipe González Anfang Dezember, als die Fluglotsen aus Protest gegen Gehaltskürzung und Arbeitszeitverlängerung den spanischen Luftverkehr lahm legten. Rubalcaba sprach von „Geiselnahme der Bevölkerung“, „Privilegien einer kleinen, wohlhabenden Kaste“ und schickte die Armee in die Kontrolltürme. „Wer sich mit dem Staat anlegt, verliert“, erklärte Rubalcaba und traf die Seele der Spanier. Galt Rubalcaba als Innenminister in Sachen baskischer Separatistengruppe ETA schon als unbeugsam, verstärkte die Militarisierung des Luftraum diesen Ruf noch.

So gab es auch kaum kritische Stimmen, als eben selbiger Rubalcaba bekanntgab, dass der Luftnotstand bis nach den Weihnachtsferien ausgedehnt würde, damit ja niemand unter den Lotsen auf dumme Gedanken komme. Dass hinter dem Konflikt mit den Lotsen das Interesse steht, lukrative Flughäfen zu privatisieren und den Kontrolldienst des Luftverkehrs an private Dienstleister zu vergeben, darüber spricht kaum jemand.

Es ist die große und wohl auch letzte Chance für Rubalcaba aus der zweiten, in die erste Reihe zu treten. Egal ob unter González oder unter einem den erfolglosen Übergangschefs der Sozialisten und jetzt unter Zapatero, Rubalcaba ist die ewige Nummer 2, der geschickt die Fäden der Partei zieht. Selbst wenn er dabei verliert – wie 2000 bei der Wahl Zapateros zum Parteichef, bei der er einen Rivalen unterstützte – steht der Parteistratege wieder auf, um sich erneut unentbehrlich zu machen. 2004 führte er das Wahlkampfteam Zapateros bei dessen Wahlsieg.

Den Dienstälteren unter den Korrespondenten in Madrid ist noch eine Szene mit dem hageren, strengen Mann in guter Erinnerung. González hatte, als er 1996 die Wahlen verlor, noch einmal zum Pressegespräch in einem großen Nebenraum eines stadtbekannten, baskischen Restaurants geladen. Die Hälfte des Saales lag im Dunkeln. Erst gegen Ende der Versammlung fiel einigen ein Schatten in einer Ecke auf. Es war Rubalcaba, der fleisige mitschrieb. Zu keinem Augenblick hatte er sich vorgestellt oder verabschiedete sich.

Sollte Rubalcaba tatsächlich zum Nachfolgekandidaten Zapateros ernannt werden, hat er es nicht leicht. Die konservative Partido Popular hatt derzeit 13 Punkte Vorsprung. Und parteiintern hat Rubalcaba im Herbst eine emblematische Schlacht verloren. Er wollte den Madrider Parteichef Tomás Gómez in Urwahlen stürzen, indem er eine enge Vertraute, die damalige Gesundheits- und jetzige Aussenministerin, gegen ihn ins Rennen schickte. Der junge Gómez gewann und erlaubt es sich seither das sozial unausgewogene Sparprogramm der Präsidenten Zapatero und Rubalcaba scharf zu kritisieren./ Foto: Ministerio del Interior

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