© 2010 Reiner Wandler

Hasta siempre Marcelino …

 

Spaniens Gewerkschaftsbewegung hat ihre Leitfigur verloren. Marcelino Camacho, verstarb im Alter von 92 Jahren in der Nacht auf Freitag in Madrid nach langer Krankheit. Der Metallarbeiter war der Gründer der Arbeiterkommissionen (CCOO). Sein gewerkschaftliches Engagement und sein Kampf gegen die Diktatur von General Francisco Franco (1939 bis 1975) brachten dem streitbaren Kommunisten Camacho insgesamt 14 Jahre Haft ein und ließ CCOO zur größten Gewerkschaft Spaniens werden.
Der Sohn eines Bahnarbeiters wurde 1918 in der zentralspanischen Provinz Soria geboren. Er war noch keine 18 Jahre alt, als der spanische Bürgerkrieg sein Leben für immer verändern sollte. Nach einer Blockade der Bahngleisen, mit der Camacho und Genossen verhindern wollten, dass die aufständischen Gegner der demokratischen, republikanischen Ordnung ihren Nachschub Richtung Madrid verlagerten, schloss sich Jungkommunist Camacho den Milizen zur Verteidigung der Republik an.

Nach Ende des Krieges wird er zu 12 Jahren Haft verurteilt. 1943 gelingt ihm die Flucht aus einem Arbeitslager im spanischen Teil Marokkos nach Algerien. Die Kolonialmacht Frankreich gewährt ihm politisches Asyl. 1957 kehrt er nach einer Amnestie mit seiner Frau Josefa Samper und seinen beiden Kindern ins faschistische Spanien zurück, wo er in Madrid als Fräser in einer Motorenfabirk zu arbeiten beginnt.

Schnell wird er für seine kritische und kämpferische Haltung unter den Kollegen bekannt und beliebt. Sie wählen ihn bei den Betriebsratswahlen, die Ende 1957 unter Aufsicht der frankistischen Einheitsgewerkschaft stattfinden, fast einstimmig zu ihrem Vertreter. Die Idee zu einer Neuorganisierung der von Franco zerschlagenen Arbeiterbewegung wird geboren. In immer mehr Fabriken kandidieren Kommunisten und Basischristen unter dem Deckmantel der frankistschen Einheitsgewerkschaften. Unter der Obhut von linken Priester versammeln sie sich und stimmen ihr Vorgehen ab. Schnell werden die neuentstandenen Arbeiterkommissionen (CCOO) überall im Lande bekannt. 1967 findet in der Klandestinität die erste landesweite Generalversammlung der neuen Bewegung statt. CCOO ist die einzige effektive politische und soziale Oppositionsbewegung gegen die Franco-Diktatur. CCOO veranstaltet Kundgebungen und ruft erfolgreich zu Streiks

Das Regime wird nervös. Zwischen 1963 und 1977 – zwei Jahre nach Francos Tod – werden insgesamt 9.000 Gewerkschafter inhaftiert. Unter ihnen auch Marcelino Camacho. Er wird trotz einer starken, internationalen Solidaritätsbewegung zusammen mit weiteren neun führenden CCOO-Kollegen in einem Schauprozess zu sechs Jahren Haft verurteilt. Im Mai 1976 – sechs Monate nach dem Tod des Diktators – wird Camacho begnadigt. Bis 1987 steht er der nun legalen CCOO vor. Bei den ersten freien Wahlen 1977 zieht er als Abgeordneter der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE), dessen Zentralkomitee er angehörte, ins spanische Parlament ein.

Camacho versteht es seine CCOO in die neue Zeit zu führen. Er sucht erfolgreich die Aktionseinheit mit der wieder erstarkten sozialistischen UGT, ohne dabei auf das Besondere an CCOO zu verzichten. „Das was wir sozio-politische Gewerkschaft nennen geht über das sozialdemokratische Konzept hinaus, das nur die Lebensverhältnisse verbessern, aber ansonsten alles beim Alten belassen will. Natürlich kämpfen wir auch für kleine Schritte, aber unserer Ziel ist der Sozialismus“, erklärte Camacho unermüdlich, was er unter Gewerkschaftsarbeit verstand. Der Erfolg gibt ihm recht. Unter seiner Regentschaft wurde CCOO zur größten Gewerkschaft Spaniens.

Mit Marcelino Camacho stirbt eine der wichtigsten Persönlichkeiten der spanischen Linken. Der unermüdliche Streiter für Freiheit und Arbeiterrechte war und ist ein Bezugspunkt für viele. Als sein Tod bekannt wurde, riefen unzählige Hörer spontan beim spanischen, öffentlichen Rundfunk an. Mit gedrückter Stimme erinnerten sie sich, wo und wann sie erstmals auf den charismatischen Gewerkschaftsführer gestoßen waren. Camacho konnte nicht nur große Reden halten. Er konnte zuhören und vor allem debattieren, ohne dabei dem anderen die Meinungsverschiedenheiten nachzutragen. Und er war sich nie zu fein, bei auch noch so kleinen Protestaktionen persönlich aufzutauchen.

Sein Gewerkschaftsausweis von CCOO trägt die Nummer 1, dennoch fühlte er sich immer als einer unter vielen. Nachdem dem Ende seiner Amtszeit als Generalsekretär war er auch weiterhin auf Gewerkschaftsdemonstrationen zusammen mit seiner Frau und Wegbegleiterin Josefa Samper zu sehen. Beide trugen immer stolz die Wimpel des Rentnerverbandes von CCOO, wie zwei ganz normale Basismitglieder.

Bis zum Schluss lebte Camacho in seiner engen und schlichten 60 m2-Wohnung im Madrider Arbeiterstadtteil Carabanchel. Seine Frau hatte sie einst gekauft, weil sie sehr nahe am Gefängnis lag. Die Wände zieren Urkunden und Orden aller Couleur: Ehrenprofessor der hauptstädtischen Universität Complutense, der Orden des kubanischen Staatsrates aus der Hand von Fidel Castro, und aus der von Spaniens König Juan Carlos das Großes Verdienstkreuz Spaniens sind nur einige der Auszeichnungen die Camacho zu teil wurden.
Heute morgen um zehn Uhr wurde Camachos Leichnam im Madrider Gewerkschaftshaus aufgebahrt. Tausende stellten sich geduldig an, um Abschied zu nehmen. Am Samstag Nachmittag wird Camacho nach einer Gedenkkundgebung im Herzen Madrids auf dem Zivil Friedhof beigesetzt./ Portraitfoto: Nemo

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