© 2010 Reiner Wandler

The Last Frontier: The Grewingk Glacier

 


Wäre dieser alte Fischer nicht gewesen, säßen wir nicht hier im Wassertaxi. Ruhig brummt der Außenbordmotor des Katamaran. Die kleine Stadt Homer im Süden Alaskas verschwindet hinter uns. Vor uns tauchen die Berge auf. Es regnet nicht mehr. Die Wolken reißen auf. Die Sonne kommt heraus. Genau wie es der pensionierte Fischereiarbeiter am morgen vorhergesagt hatte. „Alaska ist Abenteuer, das Wetter auch. Man muss sich einfach trauen“, hatte er uns ermutigt, die für acht Uhr geplante Überfahrt zu stornieren und ein paar Stunden zu warten. Es hat sich gelohnt.

20 Minuten und wir sind am Strand auf der anderen Seite der Kachemak Bay gegenüber von Homer. „Dort wo der alte Baum steht, geht die Wanderung los. Viel Spass. Wir sehen uns heute Abend“, ruft uns der Chauffeur des Wassertaxis noch zu und verschwindet dann gen Horizont.

Das Brummen des Außenborder wird immer leiser. Wir sind alleine. Weit und breit keine Menschenseele. Vier Stunde Wanderung liegen vor uns. Kürzer als ursprünglich geplant. Wir wollen nur bis zur Laguna des Grewingk-Gletschers gehen und dann über einen kleine Anhöhe – den Saddle – zurück ans Meer. Für den anfänglich geplanten Weg zur Gletscherzunge reicht die Zeit nicht mehr.

Am Beginn des schmalen Pfades steht das Schild, das wir überall in Alaska antreffen. Es warnt vor Bären und gibt Verhaltensmaßregeln, für den Fall der Fälle. Keine Hektik, Rucksack mitnehmen, langsam entfernen, nicht schreien … und wenn es zu Körperkontakt kommt, sollen wir uns auf den Boden werfen, tot stellen. Der Rucksack schütze dann den Rücken, die verschränkten Hände den Nacken. Wir lesen die Anweisungen einmal mehr aufmerksam durch und hoffen, dass wir all das niemals brauchen werden.

Wir sind im Bärenland. Das ist nicht zu übersehen. Im weichen Untergrund finden wir immer wieder Abdrücke der riesigen Tatzen von Meister Petz. Kothaufen markieren das Terrain. Und das große schwarze Etwas, das sich im Dickicht langsam davon macht? War es ein Bär? „Es hatte jedenfalls kein hohen Beine wie zum Beispiel ein Elch“, beschließt meine Partnerin. Wir gehen langsam, aber angespannt weiter, nachdem wir uns mit dem Mittel gegen den größten Feind des Wanderers – die Stechfliegen – eingesprüht haben.

Uns ständig unterhaltend – auch das soll den Bär fern halten – führt uns der Weg hinein in einen dichten Wald. Hohe Tannen und Kiefern, üppiges Unterholz, Farn und überall Pilze – die Vegetation ist so üppig, als wären wir irgendwo in Mittelamerika. Nach zwei leichten Steigungen, die wir schnell als alte Endmoränen interpretieren, öffnet sich das Gelände. Die Nadelbäume weichen den Espen und Linden. Ein kalter Luftzug kündet an, was wir wenige Minuten später weit weg zwischen den Bäumen ausmachen, den Grewingk-Gletscher.

Die Zunge des über 20 Kilometer langen Eisfeldes strömt zwischen zwei Bergen herab. Sie kommt an einer Lagune, deren Ufer wir nach knapp zwei Stunden erreichen, zum Stillstand. Immer wieder brechen unter lautem Donnern riesige Eisblöcke ab. Mit ihren bizarren Formen schwimmen sie auf der Lagune in Richtung des Grewingk Creek, ein wilder Bach, der hinunter zur Kachemak Bay fließt. Der Wind treibt die Wolken über die Berge. Mal liegt der Gletscher dunkel da, mal strahlt er stahlblau in der Sonne. Die Natur bietet uns ein beeindruckendes Schauspiel aus Licht und Eis, das wir lange genießen.

Dann ist es Zeit aufzubrechen. Schließlich sind wir mit dem Wassertaxi verabredet. Der Rückweg führt über einen kleinen Pass und dann steil hinunter in eine Enge kleine Bucht. Eine halbe Stunde zu früh sitzen wir auf der Treppe, die die letzten Meter bis zum Wasser überbrückt. Er wird uns doch hoffentlich nicht vergessen aben, schießt es mir plötzlich durch den Kopf. Doch endlich hören wir von Weitem das immer lauter werdende Brummen eines Außenborders. Es ist unser Wassertaxi.

Zum Abschluss des Tages macht der Chauffeur mit uns noch einen kleinen Abstecher zu seinem Lieblingsplatz an der Kachemak Bay, einem Vogelfelsen mitten im Meer. Als wir Homer erreichen sind Berge und Gletscher wieder in den Wolken verschwunden. Es regnet dort auf der anderen Seite. „Auch das Wetter in Alaska ist ein Abenteuer. Man muss sich einfach trauen, es lohnt sich“, wie recht der alte Fischersmann doch hatte.

Homer liegt auf der Kenai Halbinsel im Süden Alaskas und ist von Anchorage aus über den Seward- und Sterling Highway in vier Stunden zu erreichen. Es empfiehlt sich rechtzeitig eine Unterkunft zu reservieren. Homer ist klein und sehr beliebt.

Auf der Seite des Kachemak Bay State Park and State Wilderness Park gibt es alle Informationen zu den möglichen Wanderungen.

Zahlreiche Wassertaxi-Agenturen finden sich entlang des Homer Spit.

Was bisher geschah: