© 2010 Reiner Wandler

Katalonien macht gegen Madrid mobil

Es war eine der größten Demonstrationen, die Barcelona je gesehen hat. „Wir sind eine Nation. Wir entscheiden“, lautete das Motto des Protestzuges, der sich gegen eine Urteil des spanischen Verfassungsgerichtes richtete, indem mehrere Paragraphen eines neuen Autonomiestatutes für Katalonien für verfassungswidrig erklärt wurden. Das Urteil sei „ein Anschlag auf die Selbstregierung“ beschwert sich der Präsident der katalanischen Autonomieregierung, der Sozialist José Montilla. Da die Katalanen das Statut in einer Volksabstimmung angenommen haben, besäße das Verfassungsgericht nicht die Legitimität ein Urteil über den Text zu fällen.

Deshalb rief Montillas Autonomieregierung zusammen mit nationalistischen Parteien und über 1000 politischen Gruppen und Bürgerinitiativen nach Barcelona. Über 1000 Buse kamen aus der gesamten Region, in der rund 7,5 Millionen Menschen leben. Montilla und seine Amtsvorgänger führten den Zug an. Über die Größe der Demonstration scheiden sich die Geister. Die Veranstalter sprechen von 1,5 Millionen, die Polizei von Barcelona von 1,1 Millionen. Die größte spanische Tageszeitung El País kalkulierte anhand der von den Demonstranten bevölkerten Straßen nur 400.000 Menschen „mit einer Fehlerquote von 15 Prozent“.

Das vor knapp zwei Wochen gefällte Urteil des Verfassungsgerichtes war just am Vorabend der Demonstration in schriftlicher Form veröffentlicht worden. Demnach ist der Begriff Nation, der im Vorwort des Statuts für Katalonien Verwendung findet, juristisch ungültig. Die wirtschaftsstarke Region muss auch künftig beide Sprachen, das Katalanische und das Spanische, gleiche behandeln. Ein eigener oberster Gerichtshof als letzte Instanz für alle in Katalonien begonnenen Verfahren, wird der Region verwehrt. Das gleiche gilt für den Beauftragten für Bürgerrechte. Auch hier kippte das Verfassungsgericht die Beschränkung der Beschwerden katalanischer Bürger auf den katalanischen Bürgerbeauftragten. Außerdem wird Katalonien auch weiterhin solidarisch mit anderen spanischen Regionen sein müssen. Auch das sollte mit dem 2006 vom katalanischen und spanischen Parlament verabschiedeten Autonomiestatut eingeschränkt werden.

Katalonien genoss bereits in den 1930er Jahren während der zweiten, spanischen Republik eine weitgehende Autonomie, die es mit Bürgerkrieg und Diktatur unter General Franco wieder verlor. Nach dem Tod Francos 1975 lebte die Autonomiebewegung erneut auf. 1979 erhielt Katalonien erneut Autonomie. Seither kommt es zwischen der Zentralregierung in Madrid und der Autonomieregierung in Barcelona immer wieder zu Auseinandersetzungen um die Ausweitung der Autonomierechte. Die nationalistischen Parteien aus Katalonien stützen immer wieder Minderheitsregierungen egal welcher Couleur in Madrid und lassen sich dies bezahlen. Der Sozialist Felipe González weitete ebenso wie sein konservativer Nachfolger José María Aznar den Teil der Steuereinnahmen aus, über die Katalonien selbst bestimmt. Und der derzeit regierende Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero stellte sich im Gegenzug für die Unterstützung aus Barcelona hinter die neue Landesverfassung.

„Die Großdemonstration in Barcelona verbannt das Statut in die zweite Reihe“, hieß es gestern im Leitartikel der El País. Denn vielen Demonstranten ging es nicht um mehr Autonomie. Ihr Ruf nach Unabhängigkeit bestimmte den Marsch. Neben Transparenten mit der englischen Aufschrift „Catalonia. The next state in Europe“ trugen sie das Symbol der Unabhängigkeitsbewegung, die katalanische Fahne mit einem eingefügten Dreieck und einem Stern.

Radikale Gruppen, die mit Zapatero und Montilla regierende separatistische Republikanische Linke Kataloniens (ERC) und ein nicht unerheblicher Teil der Basis der gemäßigt nationalistischen, christdemokratisch orientierten Convergència i Unió (CiU) unterstützen die Loslösung von Spanien. Es geht dabei nicht nur um die Verteidigung von Sprache und Kultur, sondern auch um den regionalen Reichtum. „Sie stehlen uns täglich 60 Millionen Euro“, war auf einem Transparent zu lesen.

Was bisher geschah: