© 2010 Reiner Wandler

Das geclonte Dorf

Die chinesischen Urlauber sind auf den Geschmack gekommen. Mediterran soll es sein. Doch nur die wenigsten Menschen im Reich der Mitte haben genügend Geld, um ein Ticket zur anderen Seite der Welt zu lösen. Und genau da setzt die Geschäftsidee der China Merchants Zhangzhou Group Limited an. Sie wollen das mediterrane Ambiente an die chinesische Küste direkt gegenüber von Taiwan holen.

Unweit der Stadt Zhangzhou soll in den kommenden acht Jahren ein riesiger Ferienkomplex für Zehntausende Urlauber entstehen. Herzstück des Komplexes, der eine künstliche Insel wie die Palme von Dubai in Form zweier Delfine, Vergnügungsparks und Einkaufszentren beinhaltet, wird ein mediterranes Dorf. Das Vorbild steht an der spanischen Costa Brava: Der 3000-Seelenort Cadaqués, der einst Maler Salvador Dalí Sommer für Sommer aufnahm. „Sie haben alles fotografiert, notierten Maße und stellten Hunderte von Fragen“, berichtet der Vorsitzende des Gemeindebauamtes Valentí Seriñana. Zusammen mit Bürgermeister Joan Borrell führte er Ende Juni eine zwölfköpfige Delegation durch den Ort. „Sie wollten alles wissen, wie die Häuser gebaut sind, wie sie innen aussehen, das Gefälle der Straßen, selbst für die Kirche interessierten sie sich“, sagt Seriñana. Was den Stadtarchitekten am meisten erstaunte: „Sie haben an der Küste bei Zhangzhou einen Ort gefunden, der praktisch identisch ist mit den Bergen und der Küste hier.“ Dort soll das neue Cadaqués entstehen.

Es gehe China Merchants Zhangzhou Group Limited nicht darum, das Dorf völlig identisch nachzubauen, erklärt Seriñana. Vielmehr solle die Stimmung und das Ambiente des Mittelmeeres nach China gebracht werden. Nur das Museum des spanischen Malers Salvador Dalí soll wohl völlig originalgetreu nachgebildet werden. Denn die chinesischen Promoter wollen einen Teil des neuen Cadaqués für Galerien und Künstler reservieren.

Die chinesische Abordnung hatte sich im Internet in Cadaqués verliebt. Das Dorf unweit der französischen Grenze ist spanisches Kulturerbe, weil es so ist, wie das westliche Mittelmeer einst war. Weiße Häuser, Ziegeldächer, Terrassen, Innenhöfe, enge, verwinkelte Gassen – ein Küstendorf, das sich durch seine Bauweise vor Wind und Sonne schützt. „Die Farbgebung ist eines der Geheimnisse: Weiß, dunkles Grün, Rot und Blau, das ist alles“, erklärt Seriñana. Außerdem dürfen die Häuser in Cadaqués nur eine bestimmte Größe haben. Dadurch entsteht der Eindruck eines Dorfes, das sich regelrecht an die Hänge der bis an die Küste abfallenden Berge schmiegt.

Ob es ihn nicht störe, dass die Chinesen einfach so mir nichts dir nichts sein typisches Mittelmeerdorf nachbauen? „Nein“, sagt Seriñana. „Ganz im Gegenteil. Sie haben uns erzählt, dass sich immer mehr Chinesen Auslandsreisen leisten können, und dann sicher gerne einmal das Original besuchen wollen.“ Da Cadaqués vom Tourismus lebt, ist der chinesische Markt mit seinen Abermillionen potenzieller Kunden natürlich sehr verlockend.

Die Gemeindeverwaltung von Cadaqués wird nach der Sommerpause den Ort für das neue Cadaqués besuchen. „Zhangzhou will mit uns eine Städtepartnerschaft eingehen“, berichtet Seriñana. Es wird eine ungleiche Beziehung werden. Cadaqués hat im Winter 3000 Einwohner und im Sommer 15 000. Zhang-zhou mit seinen 400 000 Einwohnern ist für europäische Verhältnisse eine richtige Großstadt. Da wundert es nicht, dass die chinesischen Besucher vor allem eines in Cadaqués nicht verstehen konnten. „Sie fragten warum die Straßen so eng sind. Da kämen doch überhaupt keine Rettungsfahrzeuge durch, wenn mal was passiert“, erinnert sich Seriñana./ Foto: Gordito 1869, Wikimedia Commons

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