© 2010 Reiner Wandler

El Ejido: Zehn Jahre danach


Auf dem „Bulevard“ in El Ejido liegen Glanz und Elend eng beisammen. In der Ortsmitte zieren Banken und Sparkassen aus allen Regionen Spaniens die Hauptstraße. Geschäfte bieten zum Kauf, was sonst nur in großen Städten zu finden ist. Doch oben, dort wo der „Bulevard“ den Ort Richtung Autobahn verlässt, sieht es ganz anders aus. Im Morgengrauen warten Dutzende Immigranten, für einen Tag angeheuert zu werden, um in den Folienzelten zu arbeiten, die halb Europa mit Gemüse versorgen. „Seit Monaten hält kaum mehr ein Lieferwagen“, beklagen sie sich, egal ob sie aus Osteuropa, dem Maghreb oder Schwarzafrika kommen. Spanien steckt in der Krise. Und die macht auch vor El Ejido und seinen Immigranten nicht halt.

Der karge Landstrich in der Provinz Almería in Südspanien sieht aus, als hätte Verpackungskünstler Cristo zugeschlagen. Knapp 40.000 Hektar verschwanden in den letzten 30 Jahren im Küstenstreifen am Mittelmeer unter Folienzelten. Wasser aus Tiefbrunnen und das gute Wetter ermöglichen das ganze Jahr über Rekordernten. Kein Markt, kein Discounter in Europa, der ohne das Gemüse aus Almería auskommt. Tausende Tonnen Tomaten, Gurken, Zucchinis oder Auberginen werden hier täglich geerntet, verpackt und per LKW in den Norden verfrachtet. Viele der Immigranten, denen die Einreise nach Spanien ohne Papiere gelungen ist, landen hier. Sie hoffen auf einen Einstieg ins bessere Leben. Die soziale Spannungen lassen nicht auf sich warten.

El Ejido geriet vor zehn Jahren erstmals in die internationalen Schlagzeilen. Im Februar 2000 machten die Bewohner des mittlerweile auf 80.000 Einwohner angewachsenen Ortes mit Knüppeln, Baseballschlägern und Schrotflinten Jagd auf Marokkaner, nachdem ein psychisch kranker Immigrant ein Mädchen aus dem Dorf ermordet hatte. Über 70 Nordafrikaner wurden damals zum Teil schwer verletzt. Von rund 700 während der Pogromen erstatteten Anzeigen führte keine einzige zum Prozess. Die internationale Presse wurde erstmals auf die Gesellschaft moderner Apartheid aufmerksam, die täglich unseren Frühstückstisch deckt.


Längst ist El Ejido aus den Schlagzeilen verschwunden. Doch geändert hat sich wenig. „Durch die Wirtschaftskrise hat sich die Lage der Immigranten sogar noch verschlechtert“, erklärt Spitou Mendy von der Landarbeitergewerkschaft SOC. Der Senegalese besucht regelmäßig die im Plastikmeer Gestrandeten in ihren improvisierten Unterkünfte mitten in der Folienlandschaft. Die Ärmsten der Armen besetzen leerstehende Geräteschuppen oder zimmern sich aus Folien und Holz Hütten zusammen. Wasser und Strom werden illegal angezapft. Eigentlich dürfte es all das gar nicht mehr geben. Denn nach einem Generalstreik der ausländischen Arbeiter In Folge der Pogrome 2000, wurde ein Abkommen geschlossen. Die Immigranten sollten besser bezahlt werden und Unterkünfte sollten entstehen. „Nichts von dem ist passiert“, beschwert sich Mendy.


„Ich habe seit sechs Monaten keinen einzigen Tag mehr gearbeitet“, berichtet ein junger Marokkaner aus Kenitra. Seit die Bauindustrie zusammengebrochen ist und der Tourismus in der Flaute steckt, sind in Almería 25 Prozent arbeitslos, fünf Prozent mehr als in Gesamtspanien. Wie so viele hier lebt der junge Nordafrikaner von der Hilfe seiner Landleute, die irgendwo einen Tagelohn erhalten haben. Außerdem bezieht er Geld von seinen Eltern aus Marokko. Warum er dann immer noch da ist? „Ich will drei Jahre durchhalten und dann Papiere beantragen. Dann wird alles besser“, erklärt er. Das spanische Gesetzt sieht vor, dass wer „Verwurzelung“ im Lande nachweisen kann, das Recht auf eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung hat. Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

„Ich kann es mir nicht erlauben, jemanden zu beschäftigen“, erklärt Jungbauer Francisco. Er besitzt zusammen mit seinem Vater zwei Hektar. Großbauern gibt es hier kaum. Rund 27.000 Landwirte teilen sich die knapp 40.000 Hektar. 60 Prozent sind in Genossenschaften organisiert. Diese verkaufen direkt an Großkunden überall in Europa. Der Rest bringt die Produkte zu täglichen Versteigerung. Beim Gewinn macht dies allerdings nur wenig Unterschied.


„Das Geschäft läuft dieses Jahr ganz schlecht“, erklärt Francisco, der sich selbst als Opfer des Systems sieht. Er bekommt im Schnitt 50 bis 60 Cent pro Kilo Tomaten. „Um die Kosten zu decken bräuchte ich 70 Cent.“ Immer öfter müssen Familienmitglieder als Erntehelfer herhalten. Denn selbst die 37 Euro, die normalerweise ein Tagelöhner bekommt, sind zu teuer. Da hilft es auch nichts, dass der Jungbauer, wie die Hälfte seiner Kollegen, in biologische Schädlingsbekämpfung investiert hat, nachdem Greenpeace immer wieder die hohen Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln im Gemüse aus Almería beklagte. Francisco schimpft auf die Vermarkter: „Trotz besserer Qualität kämpfen wir ums Überleben, während die Zwischenhändler im Mercedes herumfahren.“

Die Bauern seien dem Preisdruck der Supermärkte wehrlos ausgesetzt, bedauern auch die Landwirtschaftsverbände der Region. Während auf der Einkäuferseite ein Dutzend Großhändler sich das Geschäft teilen, sind es auf der Angebotsseite hunderte von Genossenschaften und Versteigerungshallen. Hinzu kommt die Konkurrenz aus Ländern wie Marokko oder der Türkei. Ohne eine Konzentration der Angebotsseite, werde sich die Lage nicht ändern, mahnen Landwirtschaftsspezialisten seit Jahren. Bisher ohne Erfolg.

Was bisher geschah: