© 2009 Reiner Wandler

Späte Gerechtigkeit

„Ich bin so glücklich, endlich erkennen sie an, dass wir ganz normale Menschen sind“, erklärte María Luisa Muñoz Díaz, als ihr die Anwältin die gute Nachricht überbrachte. Nach knapp neun Jahren Rechtsstreit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg jetzt die Ehe der 53-jährigen Romni und damit ihren Anspruch auf Witwenrente anerkannt. 70.000 Euro muss Spaniens Sozialversicherung der Blumenverkäuferin aus Madrid zahlen.

Es war ein langer Weg. Sozialgericht, Oberstes Gericht der Provinz Madrid, spanisches Verfassungsgericht, sie alle weigerten sich der Romni, die 1971 im Alter von 15 Jahren den kaum älteren Mariano, einen Jungen der selben Ethnie, heiratete, als Witwe anzuerkennen. Der Grund: Die Ehe wurde nach den Roma-Bräuchen geschlossen, und niemals in das Zivilregister eingetragen. Dies war 1971 auch gar nicht möglich. Denn damals herrschte in Spanien Diktator Francisco Franco. Zivilehen gab es nicht. Wer sich nicht vor dem Altar das Ja-Wort gab, galt weiterhin als ledig. Den Beiden störte das nicht. Sie lebten das, was sie unter Ehe verstanden: „Treue, Kinder und eine Hochzeitsfeier im Kreise der Unseren“, erklärte Muñoz vor Gericht immer wieder.

Der Mann von „La Nena“ (das Mädchen), wie Muñoz von den Ihren genannt wird, arbeitete 19 Jahre als Maurer. Brav zahlte er Sozialversicherung für die ganze Familie. Auch ein Familienbuch hatte das Paar, in das die sechs Kinder vom Zivilregister fein säuberlich eingetragen wurden. Nach Francos Tod 1975 bekam Muñoz gar die Vergünstigungen, die kinderreichen Paaren in Spanien zustehen. Nur als Ehemann Mariano an Heiligabend 2000 an einem Herzinfarkt starb, war das alles nichts mehr wert.

La Nena hatte keine Wahl. Die zierliche Frau verdient sich seither die Miete für ihre kleine Wohnung in einem Randbezirk von Madrid und den Unterhalt als Blumenverkäuferin auf der Straße. So manchen Monat muss sie mit 200 Euro zurecht kommen.

Vor sechs Monaten trat Muñoz dann die erste Reise in ihrem Leben an. Sie verließ Madrid und flog nach Straßburg zum Menschenrechtsgerichtshof. Der Richterspruch, den dieser jetzt fällte, gibt vielen Frauen in einer ähnlichen Situation Hoffnung. Der Staat könne von jemandem wie La Nena nicht erwarten, „dass sie sich nach Kirchenrecht vermähle“. Außerdem sei die Möglichkeit für Paare, sich in ein eigenes Register ohne Trauung und ziviler Zeremonie einzutragen, erst nach dem Tod von Ehemann Mariano eingeführt worden.

Auf die Frage, was sie jetzt mit alle dem Geld machen werde, muss María Luisa Muñoz Díaz nicht lange nachdenken: „Ich würde gerne einen kleines Kleidergeschäft eröffnen, um davon leben zu können. Außerdem möchte ich ans Meer.“ Das hat sie nur einmal in ihrem Leben gesehen, vom Flugzeug aus, auf dem Weg nach Straßburg.

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