© 2009 Reiner Wandler

Liebe auf den ersten Blick

Die moderne Cafetería „Alsur“ in der Altstadt von Barcelona ist wie auf die Zwei zugeschnitten: Ruhige, kleine Tische, guter Cappuchino, überall Computer-Bildschirme und natürlich Wifi. Wenn es im 16-Quadratmeter-Büro von Neurotic-Web zu viert zu eng wird, kommt Chef Jordi Bufí (32) gerne hier her. Ob mit Kunden oder wie heute mit seinem Praktikanten Jean-Pierre Galea, der sich stolz „der erste Teilnehmer am ‚Erasmus für junge Unternehmer‘ europaweit“ nennt. Der 25-jährige Informatiker stammt aus Malta. Das neue Erasmus-Programm wurde Ende Februar von der Europäischen Union aufgelegt, um Unternehmensgründer zu unterstützen. Am 9. Mai landete Galea in Barcelona. Sechs Wochen wird er bleiben und bei Bufí’s Neurotic das Handwerk des Web-Developing und alles drum herum zu lernen.

„Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Bufí, wenn er auf den ‚Eramus für Junge Unternehmer‘ zu sprechen kommt. „In irgendeinem Blog“ habe er darüber gelesen. Den Link zur Seite der EU angeklickt und sofort reagiert. „Ich hatte früher schon Praktikanten von der Universität hier in Barcelona, warum also nicht jemanden aus dem Ausland nehmen?“ Bufí füllte eine Profilseite aus und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Am anderen Ende des Internet, auf Malta, in der durch die Rotunda – einen Dom aus dem 15. Jahrhundert – bekannten Stadt Mosta, las Jean-Pierre Galea die Anzeige. Und auch er war sofort angetan. „Neurotic passte genau zu mir. Und nach Spanien wollte ich schon immer mal, um meine Sprachkenntnisse aufzubessern.“ Gesagt getan. Papierkram online, einige Gespräche mit der Industrie- und Handelskammer in Terrassa unweit von Barcelona, die den Erasmus in Katalonien, dem spanischen Nordosten, betreut und es war soweit. Bei Neurotic sind sie seither fünf auf 16 Quadratmetern. Die sechs Bildschirme und ebenso viele PCs wurden soweit dies überhaupt noch möglich war zusammengeschoben, Galea mit seinem Notebook neben das Fenster, mit seiner Aussicht auf die zwei Meter entfernte Wand des Innenhofes gequetscht. Den jungen Malteser stört das nicht: „Ich bin hochzufrieden hier, denn von Jordi kann ich viel lernen.“

Bufí und seine Neurotic haben genau die Geschichte, die Galea, der bis vor einem Monat bei einer großen Marketing-Firma arbeitete, für sein geplantes eigenes Unternehmen vorschwebt. „Ich fing nach der Uni 1999 als Freelancer an“, erzählt Bufí. Hier eine Webseite, da eine Software anpassen. Die Aufträge wurden immer größer. 2003 gründete er dann mit einem ehemaligen Studienkollegen www.neuroticweb.com . „Der Name ist eine Wortspiel aus Neuronen und Technologie, Information und Kommunikation“, erklärt Bufí, der sich gerne als „Internetfreak“ definiert. Heute arbeiten neben den beiden Gründern zwei weitere Informatiker im winzigen Büro in Barcelona. Sechs Freelancer liefern zu.

„Unsere Philosophie ist Kreativität umgesetzt mit freier Software“, erklärt Bufí. „Linux ermöglicht es uns in den gesamten Programmierprozess einzugreifen und unsere Kunden sind nicht abhängig von irgendwelchen großen Softwarefirmen.“ Jedes Projekt ist so aufgebaut, dass der Kunde jederzeit selbst die Kontrolle übernehmen kann. Doch das komme selten vor. Die meisten seien hochzufrieden mit dem Service, den Neurotic bietet und blieben. „Manche Kunden kennen wir nur aus Mails. Das ist ein sehr gutes Zeichen“, sagt Bufí.

Die Kundenliste kann sich sehen lassen. Handwerksbetriebe, eine Gesundheitsseite, Sportverbände oder das regionale Fernsehen in der südspanischen Extremadura sind nur einige davon. Für weitere Einkünfte sorgen Neurotic-eigene Blogs. www.marujeo.com bietet intelligent gemachten Tratsch und Klatsch über Stars und Sternchen – „der Blog gehört zu den meistbesuchten dieser Art in Spanien“ – www.reporterasfashion.com bietet Nachrichten aus der Welt der Mode, www.buscatuning.com ist ein Ort für Fans aufgemotzter Autos und www.drifting.es widmet sich dem Motorsport. Dank Google tragen sich die Blogs über die Werbeeinnahmen und werfen sogar noch etwas ab. Außerdem seien die Blogs ideal, um neue web-Techniken auszuprobieren und vorzuzeigen.

„Wir haben viel Lehrgeld bezahlt“, beteuert Bufí. Genau das könne ein Programm wie der „Erasmus für junge Unternehmer“ Anfängern wie Galea ersparen. „Sag Nein, wenn du ein Projekt nicht klar hast und konzentriere dich auf eine Spezialität“, ist das, was Bufí seinem Praktikanten vor allem mit auf den Weg geben will.

Galea hört aufmerksam zu. Er hofft, nach dem Praktikum Unterstützung von der Regierung auf Malta zu erhalten. „Es gibt allerlei Programme für junge Unternehmer, denn Malta möchte weg von der Produktion, hin zu Dienstleistungen“, sagt Galea. Als ersten Schritt will er versuchen in einem der Bürogebäude unterzukommen, die die Regierung für junge Unternehmer kostenlos zur Verfügung stellt. Auch einen Markt hat er schon im Auge. „Malta mit nur 400.000 Einwohnern ist nicht allzu groß, aber wir sind alle perfekt zweisprachig auf Englisch“, sagt Galea. Ein niedrigeres Lohnniveau als im Vereinigten Königreich macht Dienstleister von der Mittelmeerinsel für britische Unternehmen interessant. „Außerdem spreche ich wie viele Malteser Italienisch. Das könnte auch ein Markt sein“, meint der junge Informatiker.

Galea möchte erstmal nicht auf Freeware umsteigen. Zwar findet auch Galea Linux ein interessantes Betriebssystem. „Doch in Malta funktioniert alle Welt mit Raubkopien unter Windows“, deshalb wird Galea seine Arbeit auch weiterhin auf dieser Plattform aufbauen, „wenn immer möglich mit Open-Access-Programmen“.

„‚Erasmus für junge Unternehmer‘ ist keine Einbahnstraße“, resümiert Bufí. Er profitiere von der Anwesenheit Galeas. Zum einen sei er gezwungen sein eingerostetes Englisch aufzufrischen, zum anderen „tut ein Blick von außen auf unser Unternehmen gut“. Galea fielen Sachen auf, die für für jemanden, „der ständig in der Neurotic-Suppe kocht“, längst normal seien. Eine solche Kritik sei sehr fruchtbar.

Galea und Bufí schmieden schon Pläne für die Zukunft. Der Malteser hat als Freelancer für einige Unternehmen auf der Insel ein System für mail-marketing aufgebaut. „Wer sich auf deren Seiten anmeldet, erhält danach auf sein Profil zugeschnittene newsletter“, erklärt Galea. Die Open-Software hat er eigens an die konkreten Bedürfnisse seiner Kunden angepasst. Bufí sucht genau so etwas.

Außerdem wollen die beiden auch gemeinsam raus aus dem virtuellen Raum, hinein ins echte Leben. „Wir veranstalten hier in Barcelona einmal im Monat ein Treffen für junge, kreative Berufseinsteiger und bereits funktionierende Unternehmen“, sagt Bufí. Dort werden dann Vorträge zu bestimmten Themen gehalten, und vor allem Kontakte hergestellt. „Networking“ heißt dies auf Neu-Spanisch. Galea kann sich vorstellen eine ähnliche Initiative auf Malta ins Leben zu rufen.

Bleibt die Frage, was Bufí seinem angehenden Unternehmer als Leitmotiv mit auf den Weg nach Malta geben will? „Die Entscheidung ein Unternehmen zu gründen ist so wie die ein Kind zu bekommen. Man wartet immer auf den richtigen Zeitpunkt und der kommt nie, wenn du nicht einfach beschließt, es jetzt zu tun“, erklärt der katalanische Informatiker, der seit 15 Monaten Vater ist.

Was bisher geschah: