© 2009 Reiner Wandler

Die Madonna der Vorstädte

Louisa Hanounes Anhänger nutzen das Internet.

Das Foto der Frau auf den Wahlplakaten gleicht dem Gemälde einer Madonna. Das dunkle Haare streng nach hinten gekämmt und zusammengebunden, ein fester Blick durch eine altmodische Brille – das Gesicht, das überall von den Mauern schaut, gehört Louisa Hanoune, der Vorsitzenden der Arbeiterpartei Algeriens (PTA). Wo sie auch auftritt, füllt die redegewandte Trotzkistin die Säle in ihrer nordafrikanischen Heimat. Ob in den Arbeitervierteln der großen Städte, wo der alltäglichen Kampf gegen wirtschaftlichen Liberalismus und die neue Armut das Leben bestimmt, oder in den traditionsverhafteten Dörfern, wo sich jahrelang die Furcht vor den Militärs und vor den islamistischen Kommandos ablösten, Hanoune trifft den Nerv ihrer ZuhörerInnen. Sie will Präsidentin Algeriens werden.

Die 54-jährige Parlamentarierin ist die einzige bekannte Herausfodererin des seit 1999 amtierenden Präsidenten Abdelaziz Bouteflika, der eigens die Verfassung ändern ließ, um erneut antreten zu können. Gewinnen wird die streitbare Linke wohl kaum. Doch Hanoune stört dies nicht. Ihr geht es um die Ideale, die Algerien einst zur Unabhängigkeit führten, und von denen die herrschende Klasse rund um Bouteflika nur noch in Wahlkampfreden Gebrauch macht. Hanoune, die einzige weibliche Parteivorsitzende Algeriens, und wohl auch der gesamten arabischen Welt, verkörpert für viele ihrer Landsleute, moralische Integrität.

1954 geboren, kam Louisa Hanoune in dem Jahr auf die Welt, als der Kampf um die Unabhängigkeit von Frankreich begann. Als sie ihren achten Geburtstag feierte, hatte die Nationale Befreiungsfront (FLN) die politische Selbstbestimmung nach über 130 Jahren Kolonialherrschaft errungen. Als erste Frau der Familie erhielt sie eine umfassende Schulausbildung. Ihr Weg, bei dem es immer wieder den Widerstand des eigenen Vaters zu überwinden galt, führte sie schließlich gar an die Universität, und damit hinein ins gesellschaftliche Leben und die alltäglichen politischen Konflikte. Es ist eine Erfahrung, wie sie nur in ihrer Generation möglich war, und die dennoch die Ausnahme bleiben sollte. „Wir, die wenigen Davongekommenen“, die sich nicht an Haus und Herd haben binden lassen, “stellen nur gerade 8,6 Prozent der erwachsenen, weiblichen Bevölkerung dar“, rechnet Hanoune in einem biografischen Interviewband vor.

Die Forderung nach der Gleichstellung von Männern und Frauen führte sie 1983 ins Gefängnis. Das Regime hatte beschlossen mit jeglicher Opposition aufzuräumen. Ob der spätere Gründer der Islamischen Heilsfront (FIS) Abassi Madani, der Menschenrechtsanwalt Abdenour Ali Yahia, Feministinnen und radikale Linke, alle wurden in jener Dezembernacht abgeführt. Statt Ruhe ernteten die Bürokraten in Algier internationalen Sturm und mußte schließlich Hanoune und all die anderen wieder freilassen.

Wenige Jahre später, 1988, brach das Regime endgültig zusammen, nicht ohne zuvor 500 junge Demonstrierende mit in den Tod zu reisen. Die Volksarmee, bis dahin hochangesehener Garant der Unabhängigkeit, war erstmals gegen das eigenen Volk ausgerückt. Tausende von Verhaftete wurden systematisch gefoltert. Revolutionsmythen mit denen sich das korrupte Einparteiensystem die ganzen Jahre legitimiert hatte, platzen über Nacht wie Seifenblasen. Nur die politische Öffnung konnte Schlimmeres verhindern. Die FIS eroberte den Freiraum, zog die Hoffnungen nach Erneuerungen auf sich, und gewann schließlich 1991 die ersten freien Wahlen. Das Militär schritt erneut ein. Der tragische Konflikt, der 200.000 Menschenleben fordern sollte, nahm seinen Lauf.

Hanoune griff immer wieder die Menscherechtsverletzungen an, egal von wem sie ausgingen. Gewalt ist für sie durch nichts zu entschuldigen. Dabei sparte sie auch nicht mit Kritik an den Militärs, die – da ist sie sich ganz sicher – bis heute nur ein Interesse kennen, ihre eigenen Konten auf Kosten der algerischen Bevölkerung zu füllen. Ihr Gegner Bouteflika ist für sie der Vertreter dieser Klasse.

In Zeiten der internationalen Krise, in der Algerien dennoch dank Erdöl und Erdgas volle Kassen hat, das Geld aber unten nicht ankommt, stellt sie sich mit einem Diskurs zur Wahl, der irgendwo zwischen dem der Globalisierungsgegner und den einstigen algerischen Nationalisten angesiedelt ist. „Friede, Brot, Land und Freiheit“ heißt die Parole, mit der sie an die Gedanken anknüpft, die einst die Menschen für den Unabhängigkeitskampf gegen Frankreich begeisterten.

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