© 2008 Reiner Wandler

Ein Ausflug in die Geschichte

Wenn von Sefarad, dem jüdischen Spanien im Mittelalter, die Rede ist, fallen Namen wie Toledo, Barcelona, Tudela oder Córdoba. Diese Städte waren das Zentrum der städtischen, jüdischen Kultur. Doch es gab auch das andere, das ländliche Sefarad. Ein Besuch in Hervás bietet einen Einblick in die Blütezeit des ruralen, jüdischen Lebens in Spanien, aber auch in das Drama der Vertreibung der Sefarden und ihrer Konvertierung zum Christentum.

Der kleine Ort in der südspanischen Provinz Cáceres nennt einen der besterhaltenen jüdischen Stadtteile sein eigen. Verwinkelte Gäßchen ziehen sich den Hang eines Hügels hinauf. Fachwerkhäuser aus Kastanienholz und luftgetrockneten Lehmziegeln säumen die Gassen. So manche Tür schmückt bis heute der Davidsstern. Im Schatten der Kirche Santa María, deren Ursprünge auf den mittelalterlichen Orden der Tempelritter zurückgehen, lebten einst 45 jüdische Familien.

Die ersten Anhänger des hebräischen Glaubens waren im 13. Jahrhundert nach Hervás gekommen. Ende des 14. Jahrhunderts folgten zahlreiche Flüchtlinge aus Kastillien und Andalusien, wo im Jahre 1391 Progrome gegen die religiöse Minderheit ausbrachen. Die Neuankömmlinge im damals nur mehrere Hundert Einwohner zählenden Ort verdingten sich als Ärzte, Weber, Sattler und Weinbauern. Bald schon wurde Hervás zum reichsten Dorf der Umgebung und zum Zentrum des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens. Die Hälfte der jüdischen Steuergelder des Fürstentums Bejar, zu der Hervás einst gehörte, kamen von hier. Eine Synagoge entstand.

Hervás erlebte seine Blüte im 15. Jahhunderts. Die christliche und jüdische Religion lebten friedlich miteinander, bis 1492 die katholischen Könige Fernando II. von Aragon und Isabel I. von Kastillien ganz Spanien unter ihre Herrschaft brachten. Für die sefardische Kultur war dies das Ende. Die neuen Herrscher bestimmten per Erlass vom 31. März 1492, dass alle Juden zum christlichen Glauben überzutreten hatten, oder das Land binnen vier Monaten verlassen mussten.

13 der 45 ortansässigen, jüdischen Familien verabschiedeten sich von ihrer Heimat und gingen nach Portugal. Die meisten hatten vergebens versucht ihr Hab und Gut zu verkaufen. So ließen sie alles zurück. Die restlichen Familien stimmten der Zwangstaufe zu. Sie wurden sogenannte „Neuchristen“. Doch hier hörte das Drama nicht auf. Die Konvertierten standen unter strengster Beobachtung. Immer wieder wurden „Neuchristen“ auch aus Hervás vor der Heiligen Inquisition als „Cryptojudíos“ – als „Untergrundjuden“ – angeklagt. Sie sollten heimlich ihren alten Glauben weitergelebt haben. So mancher der Beschuldigten endete Anfang des 16. Jahrhunderts auf dem Scheiterhaufen.

Die Konvertierten in Hervás schlossen sich nach 1492 in einer eigenen katholischen Bruderschaft zusammen, der Cofradía Gervasio. Dadurch konnten sie einen Teil des Eigentums der jüdischen Gemeinde retten und gemeinsam am chirstlichen Dorfleben teilzunehmen. Das älteste Krankenhaus des Ortes wurde von ihnen errichtet. Jahrelang pflegten sie im Verborgenen jüdische Bräuche. Auch wenn sie nach der brutalen Repression der Inquisition ihre Religion völlig aufgaben, die Liebe zur Judería und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl verloren sie nie. Nur dank der alteingesessen Familien wurden der Stadtteil in seiner ursprünglichen Form über die Jahrhunderte bewahrt, bis er 1969 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Ab Ende der 80er Jahre flossen dann Gelder zur Restaurierung.

Bis heute ist das jüdische Erbe in der Bevölkerung präsent. Obwohl die Synagoge schon längst nicht mehr existiert, weiß noch immer jeder zu sagen, wo sie sich einst befand. „Rabilero 19“ lautet die Adresse, die mündlich überliefert wurde. Schriftliche Dokumente gibt es keine. An diesem Ort stand einst ein Gebäude mit einem Säulenvorbau. Es wurde 1949 unter der Franco-Diktatur abgerissen, ohne jemals Nachforschungen über seinen Ursprung anzustellen.

Einmal im Jahr, zum Beginn des Sommers kehrt Hervás ins Mittelalter zurück. Dann kleiden sich die Bewohner des jüdischen Stadtteiles in alte Trachten. Die Männer tragen Kipas. Laienschauspieler führen das Stück „Los Conversos“ – „Die Konvertierten“ – auf. Geschrieben wurde es von einem in Hervás ansässigen Schriftsteller jüdischen Ursprungs. Dann ist es wieder zuhören, das überlieferte, mittelalterliche Sprichwort: „Hervás, los judíos los más“ – „Hervás, die Juden sind die Besten“.

Nützliches:

Hervás ist per Bus von Madrid, Salamanca oder auch von Cáceres aus zu erreichen. Zahlreiche Casas Rurales – ländliche Unterkünfte – stehen dem Reisenden zur Verfügung. Informationen finden sich unter.

Ein Abstecher durch die umliegenden Ausläufer des Gredos-Gebirges lohnt sich vor allem im Herbst. Die Kastanien- und Steineichenwälder leuchten in allen Gelb- und Rottönen in der Sonne. Eine der schönsten Wanderungen führt in etwas mehr als einer Stunde von einem kleinen Elektrizitätswerk zur Chorrera, einem Wasserfall.

Wer im Auto anreist, dem sei ein Abstecher ins mittelalterliche Granadilla empfohlen. Der Ort 26 Kilometer von Hervás wurde in den 50er Jahren verlassen, als die Länderreien rundum einem Stausee zum Opfer fielen. Heute ist ein Großteil des von einer Stadtmauer umgebenen Dorfes sowie die Burg wieder restauriert.

Was bisher geschah: