© 2008 Reiner Wandler

Spanien vor der EM

Von Begeisterung ist nichts zu spüren. Nur fünf Männer haben sich in die Kneipe im Zentrum Madrids verirrt. Dem Länderspiel Spanien- USA schenken sie kaum Beachtung. Und das obwohl es das letzte Freundschaftsspiel vor dem spanischen EM-Debüt am 10. Juni ist. Bei Ligaspielen ist die Kneipe immer gerammelt voll. Egal ob Real Madrid, Atlético oder der FC Barcelona live übertragen wird. Die Spanier sind eine der Fußball begeistertsten Nationen Europas. Aber eben nur wenn es um die Liga geht. Die Nationalmannschaft hat von jeher nur enttäuscht. Fatalismus macht sich auch dieses Mal breit.


„Höchstens Viertel-Finale“, meint einer. „Nö, wir kommen nicht einmal über die Vorrunde hinaus“, ein anderer. Die Elf, die der betagte Coach Luis Aragonés zusammengestellt hat, will niemanden überzeugen. Starspieler wie Real Madrids Raúl fehlen, dafür dürfen junge Kicker nach Österreich und die Schweiz mit. An sich eine gute Sache, wäre die Mannschaft nicht aus „Verliererclubs“, wie sie hier in der Kneipe genannt werden, zusammengesetzt. Zaragoza kämpft gegen den Abstieg. Valencia spielte dieses Saison in der Liga so schlecht wie schon lange nicht mehr. Und der FC Barcelona brach am Ende der Spielzeit regelrecht ein, egal ob in der Liga oder in Europa.

„Woher sollen diese Spieler die nötige Siegesmentalität nehmen?“, fragt einer, ohne sie ernsthaft zu erwarten. „Tragik“ ist das Schlagwort, wenn es um die Nationalmannschaft geht. Jeder weiß von Durchfallerkrankungen, die die Spieler im letzten, alles entscheidenden Augenblick schwächten. Oder von der eisiger Kälte irgendwo im Osten, die die Qualifikation erschwerte. Alle erinnern sich an jenen nigerianischen Kullerball, den 1998 Nationalkeeper Zubizarreta mit der eigenen Hand zum Tor verwandelte. Was die spanischen WM-Träume schon in der Vorrunde platzen ließ. Oder an jenen Elfmeter, den Real-Madrid-Star Raúl bei einem EM-Viertelfinale über das Tor schoss.

Doch die traditionell fehlende Begeisterung hat nicht nur mit mangelnden sportlichen Erfolgen zu tun. Es ist auch ein politisches Problem. Zwei der wichtigsten Fußballregionen des Landes – Katalonien mit dem FC Barcelona und das Baskenland mit Atletic de Bilbao – identifizieren sich nur bedingt mit Spanien als Ganzem. Hier sind Nationalismus und Streben nach Unabhängigkeit stark. Ein Länderspiel könnte in keiner der beiden Regionen ausgetragen werden. Proteste wären programmiert. Und auch im restlichen Spanien sind nationale Symbole wie Fahne, Hymne und auch Nationalelf mit dem Makel der unrühmlichen Vergangenheit unter der Franco-Diktatur behaftet.

Nur einmal schien alles anders, bei der letzten WM. Die junge Mannschaft unter Trainer Luis Aragonés spielte in der Vorrunde gekonnt und selbstsicher auf. „Sí, sí, sí vamos a Berlin!“ – „Ja, ja, ja, wir fahren nach Berlin!“, hieß einer der Slogan. „A por ellos“ – so viel wie „Auf sie mit Gebrüll!“ ein anderer. Die Fans hatten Lust auf mehr. Das Land war wie verwandelt. Allerorts gab es Großbildschirme, die Kids entdeckten das Nationaltrikot und die Fahne. Dann war plötzlich alles vorbei. Die Spanier scheiterten abermals im Viertelfinale. Schnell kehrten wieder alle der Nationalmannschaft den Rücken – fast schon beschämt darüber, sich dem Taumel hingegeben zu haben.

Das wirkt bis heute nach: Es gibt keine Vorfreude auf die EM, auch wenn sich die Presse redlich bemüht sie zu erzeugen. Vielleicht kommt Begeisterung nach dem ersten Sieg auf. Doch an einen Erfolg glaubt niemand im Land. Nicht einmal Trainer Aragonés. Wie sonst hätte der 70-Jährige in einer Fernsehsendung auf Drängen der Zuschauer verprechen können, im Falle des Titelgewinns mit seiner Frau den Santiago-Weg gehen zu wollen?

Was bisher geschah: