© 2008 Reiner Wandler

Der höchste Berg der iberischen Halbinsel

 


Alleine der Blick ist die Strapazen wert. Vor uns – oder besser unter uns – liegen die Strände Südspaniens. Durch die Meerenge von Gibraltar ziehen die Schiffe. Am anderen Ufer lassen sich die Häuser der marokkanischen Dörfer ausmachen. Dunkel zeichnet sich dahinter das Riff-Gebirge ab. Wer vom Mulhacén, mit 3.482 Meter der höchste Berg der iberischen Halbinsel, in die andere Richtung, nach Norden blickt, schaut weit hinein ins spanische Hinterland. Granada, die Sierra von Cazorla bei Jaén und bei gutem Wetter lässt sich selbst die Sierra Morena ausmachen, die das südspanische Andalusien von der Heimat Don Quijotes, der Mancha, trennt.

Die Sierra Nevada lädt von weit her zum Aufstieg ein. Wer kennt es nicht, das Foto der Alhambra in Granada, dem größten und schönsten maurischen Palast außerhalb der arabischen Welt, in seiner einzigartigen Kulisse. Hinter den Mauern und Türmen zeichnet sich der Veleta (3.324 m), Mulhacén (3.482m) und die Alcazaba (3.366 m). Es sind die drei bekanntesten Berge der Sierra Nevada, die ihrem Namen alle Ehre macht. Im Winter liegt hier Europas südlichstes Skigebiet. Von Mitte Oktober bis Mitte Juli sind die Berge Schnee bedeckt.

Im Winter geht es mit den Skiern und Fellen nach oben. Im Frühjahr mit schweren Wanderstiefeln, Steigeisen und Eispickel, und im Sommer mit leichter Trekkingausrüstung. Die schönsten Touren führen von den Dörfern der Alpujarras, einem tiefen von West nach Ost verlaufenden Tal zwischen dem Küstengebirge und der Sierra Nevada hinauf auf die Höhen des zweithöchsten europäischen Gebirgszuges nach den Alpen.

Das Dorf Trevelez (1.500 m) empfiehlt sich als Ausgangspunkt für den Marsch auf den Mulhacén. Als Proviant dient ein Stück der guten Trockenwurst oder des Serrano Schinkens, die hier in der trockenen Gebirgsluft das ganze Jahr reifen. Frühmorgens geht es hinaus aus den engen Gassen des Ortes, in dem sich einst Ende des 15. Jahrhunderts die arabischen Herren Andalusiens die letzten Rückzugsgefechte gegen die christlichen Truppen aus dem Norden Spaniens lieferten. Die Hänge sind von Terrassen überzogen, die für die Landwirtschaft seit dem Mittelalter mühsam dem Berg abgerungen wurden. Alte Wasserkanäle, die sogenannten Acequias, die das kostbare Nass von über 3.000 Meter hinunter auf die Felder bringen, sorgen für eine einmalige Kulturlandschaft. Dazwischen liegen immer wieder kleine weiße Häuser, cortijos, wie sie auch im Atlasgebirge zu finden sind. Nirgends ist Spanien so arabisch wie hier.

Die steilen Täler, die in Jahrtausenden vom Wasser tief in die Hänge der Sierra Nevada gegraben wurden liegen dunkel vor uns. Sie werden von mächtigem Bergrücken getrennt, die schnell Richtung Hochgebirge ansteigen. In nur 12 Kilometern erhebt sich die Sierra Nevada von 600 Meter auf fast 3.500 Meter.

Wir beobachten neidisch Bergziegen oder Steinböcke, die mit einer Eleganz und Leichtigkeit hinaufspringen, wo wir uns mühsam vorwärts bewegen. In den Lüften kreisen Geier und Adler. Seit die Sierra Nevada zum Naturschutzpark erklärt wurde, herrscht hier Ruhe. Die steinigen Pisten, auf denen einst nicht nur Geländewagen auf über 3.000 Meter hinauffuhren sind vielerorts längst im Geröll verschwunden. Der Berg erobert sich seine Hänge zurück.

Die Vegetation wird immer spärlicher. Ab 2.500 Meter gibt es keine Terrassen mehr. Hier lässt sich auch im Sommer nichts anbauen. Die kargen Böden geben gerade genug für Schafherden her. Uns begleitet das Tosen der Bäche. Sie speisen sich von Schneefeldern, die sich dort am längsten halten, wo einst riesige Gletscher ihre tiefen Täler gruben. Nach einem kurzen harten Anstieg entlang eines Wasserfalles erreichen wir das Tal der Siete Lagunas (2.994 m). Die sieben kristallklaren Bergseen und gewaltige Moränen zeugen noch immer von den Grenzen der verschwundenen Eismassen, die einst diese Landschaft formten.

Erstmals liegt der Gipfel des Mulhacén in seiner ganzen Pracht vor uns. Er ist zum greifen nahe und doch noch so weit entfernt. Je höher wir steigen umso stärker wird der Wind, der fast das ganze Jahr über das Dach der iberischen Halbinsel fegt. Nach langen 1,5 Stunden über den gezogenen Hauptrücken begrüßt uns die Statue der „Virgen de las Nieves“ – der Heiligen Jungfrau des Schnees. Wir danken es ihr mit Schinken und einem Schluck Wein während wir gen Afrika blicken.

Was bisher geschah: