© 2007 Reiner Wandler

Suspiros de España: Granada

„Der nur wenig ortskundige Reisende wird den Eindruck gewinnen, dass Granada mit der unglaublichen Vielfalt an Formen, der Landschaft, dem Licht und dem Geruch die Hauptstadt eines Königreiches mit eigener Kultur und Literatur ist. Er wird eine seltene Mischung aus dem jüdischen Granada und dem arabischen Granada vorfinden, die augenscheinlich im Christentum verschmolzen, aber immer noch lebendig und unbestechlich ist in ihrer Unschuld.“ (Federico García Lorca)

Wer die Stadt erkunden will, betritt sie durch das Stadttor Puerta de Elvira, an dem am 1.1.1492 der letzte arabische Herrscher Boabdil den katholischen Königen Fernando und Isabel den Schlüssel zur Stadt übergab. Granada mit seinen Palästen sollte so vor der Zerstörung gerettet werden. Dieses bis heute, alljährlich mit einer Prozession gefeierte Datum setzte der siebenhundertjährigen Herrschaft der Arabar in Al-Andaluz, wie sie den Süden Spaniens nannten, ein Ende. Zurück blieb ein reiches kulturelles Erbe, geprägt von den drei großen Weltreligionen, dem Islam, dem Judentum und dem Christentum.

Gleich nach dem Stadttor beginnt die Calle Elvira. Was heute eine kleine enge, von ständigen Staus verstopfte Gasse ist, war einst die Hauptstraße der Stadt. Von ihr aus erhebt sich das am Berg gelegenen arabische Viertel Albaicín. Der von Treppen und Gässchen durchzogenen Stadtteil ist eine Stadt innerhalb der Sadt. Das Leben hat einen anderen Rythmus. Auf engstem Raum leben hier direkt im Zentrum, und doch fernab von der Hektik des Verkehrs, buntgemischt verschiedene soziale Schichten nebeneinander her. Vor den kleinen Häusern sizten Rentner im Schatten. Um die Ecke in den kühlen Innenhöfe ihrer mittelalterlichen Villen genießt der in- und ausländische Geldadel die Mittagsruhe. Der Spaziergänger taucht ein in eine andere Welt.
Nicht die große Pracht weckt unser Interesse sondern die Details, das Plätschern eines Brunnens, die kleinen Fenster, die hufeisenförmigen, arabischen Haustüren und der Geruch der Pflanzen. Wer sich verirrt, wählt einfach eine Gasse, die hinabführt in die Hektik der Calle Elvira. Oder wir steigen hinauf bis ans Ende des Häuserwirrwarrs. Der Ausblick vom Vorplatz der Kirche San Nicolás belohnt für die Mühen.


Vor den Augen des Spaziergängers, auf der gegenüberliegenden Hügelkette, erstreckt sich – eingerahmt von der bis im Frühsommer schneebedeckten Kulisse der Sierra Nevada – die Alhambra, einstiger Herrschersitz. Der rote Sandsteinpalast zählt zu den schönsten der Welt. Fresken zeugen von der Verschmelzung der Kulturen am Hofe. Islamische, christliche und jüdische Mythologie und Symbolik lösen sich ab. Eine Mischung, die auf allen Gebieten fruchtbar war. Könige und Kaiser aus ganz Europa reisten an, um sich in der Klinik von Granada und dem benachbarten Königreich Cordoba behandeln zu lassen. Bis hin zu Augenoperationen reichte das Wissen im 15. Jahrhundert. Das neue Testament wurde hier erstmals von einem Juden ins Spanisch übersetzt.

Das grüne Land nannten die Wüstensöhne den heißen Süden Spaniens. Verliebt in das Wasser, führten sie es aus den Bergen heran. Die Alhambra und der benachbarte Sommerpalast Generalife sind der deutlichste Beweis dieses Wissens. In mit Kacheln geschmückten Sälen sorgen Wasserspiele für eine angenehme Kühle. Dies sich im Rytmus abwechselnden Fontänen funktionieren bis heute, dank eines ausgeklügelten Systems von Auffangbecken und Überläufen. Nicht nur zur Zier diente das begehrte Nass. Die Ebene vor der Stadt, die Vega, wurde bewässert, über 300 öffentliche Bäder gab es in der Stadt. Eines davon kann im Paseo de los Tristes besichtigt werden.

Doch bietet die „Promeda der Traurigen“, wie der volkstümliche Name übersetzt heißt, nicht nur kulturelle Genüsse. Nachts werden auf dem Paseo del Padre Manjón, wie die Straße eigentlich heißt, weitaus profanere Bedürfnisse befriedigt. In der kopfsteingepflasterten Straße drängt sich in lauen Sommernächten das Volk. „Ir de copas“ – ein paar Trinks schlürfen – heißt die Devise, nach dem man in einer der zahlreichen Gartenkneipen mit Blick auf die beleuchtete Alhambra zu Abend gegessen hat. Hier findet sich was für jeden Geschmack: von Flamenco, über Salsa, bis hin zum Techno. Für Tristess, wie der Namen sugeriert, ist an diesem Ort, wo sich historische Kulisse und Nachtleben die Hand geben, kein Platz.

Nach der Eroberung zwangen die Sieger den Besiegten ihr Leben auf. Die meisten Wasserleitungen wurden dem Zerfall überlassen. Aus fruchtbarem Ackerland wurde Weideland für die Herden der kastillischen Adligen. Mit der Judenvertreibung vom 1492 verlor Spanien ein Großteil seiner Intelligenz. Die zurückgebliebenen Moslems wurden zum Übertritt zur katholischen Kirche gezwungen.

Mit den Karten der islamischen Geographen wurde Amerika entdeckt und somit der Reichtum, mit dem die Umgestaltung der Stadt vorangetrieben wurde. Mitten in der Alhambra errichtete Carlos V. seinen Palast – neben der Kunstfertigkeit der arabischen Baumeister ein unförmiger Bau der nichts weiter als Macht ausdrückt. Die einstige Moschee im Stadtzentrum wurde zerstört. An ihrer Stelle wurde 1518 – noch zu Lebzeiten der katholischen Königen – mit dem Bau einer Kathedrale begonnen, in deren „Capilla Real“ Fernando und Isabel beigesetzt wurden.


Die Kathedrale überschattet den arabischen Basar Alcaicería. In seinen ständig überfüllten Gässchen wird allerlei Kitsch im arabischen Stil feilgeboten. Wer sich auf einer Terrasse erholen will, tritt hinaus auf die Bibrambla, Granadas bürgerlichem Platz. Hier endete einst auf dem Scheiterhaufen, wem der Übertritt zur Religion der neuen Herrscher nicht glaubhaft gelang.

500 Jahre später lebt in Granada noch immer die stärkste islamische Gemeinde Spaniens. Zahlreiche kleine Restaurant, die traditionelle arabische Küche anbieten, zeugen davon. Und die Geschichte ist nicht vergessen. Immer wieder fordern sie lautstark die Rückgabe der Moschee in der Alhambra für ihre Feierlichkeiten. Im Albaicín errichteten sie ihr Zentrum.

Wer sich zu einer Reise in die Vergangenheit und Gegenwart Granadas entscheidet, sollte mehr Zeit als Reiseführer mitbringt. Denn „für die großen Karawanen von aufgeregten Touristen, Freunde der Kabaretts und großer Hotels, diese leichtfertigen Gruppen, die die Menschen im Albaicín ‚Onkel Tourist‘ nennen, ist die Seele der Stadt nicht offen.“, so Federico García Lorca, Dichter und bekanntester Sohn der Stadt.

Was bisher geschah: