© 2007 Reiner Wandler

Der Streit um den Stier

Lucía Etxebarría erinnert sich genau an ihren ersten Besuch beim Stierkampf. «Ich war 18 Jahre alt und studierte Journalismus», erzählt die spanische Autorin. «Ein Studienfreund lud mich in die erste Reihe ein. Das Blut des Stieres spritzte mir entgegen. Ich begann zu weinen und verliess die Arena.» Lucía Etxebarría wird nicht müde, diese Geschichte zum Besten zu geben, wenn sie gegen das «blutige Spektakel» wettert. Die preisgekrönte Autorin ist eine der Wortführerinnen der Bewegung gegen «La Fiesta Nacional», wie die Spanier die alte Tradition des Kampfes Mensch gegen Tier nennen.

Zuletzt trat Etxebarría im spanischen Parlament auf, wo sie ein Manifest verlas, in dem eine Gruppe von Abgeordneten gegen den Stierkampf ein «landesweites Tierschutzgesetz» fordert, das auch Kampfstiere mit einbezieht. «Wir werden nicht ruhen, bis alle Arenen in Spaniens geschlossen sind», erklärt der grüne Abgeordnete Francisco Garrido, der diese Anti-Stierkampf-Lobby ins Leben gerufen hat.

Es ist nicht leicht in Spanien, gegen die «Corrida» zu mobilisieren. Viele Abgeordnete sind Anhänger des Stierkampfs. Und wer es nicht ist, zieht es vor, sich aus dem Streit um die alte Tradition herauszuhalten. Eine eindeutige Position könnte Wählerstimmen kosten. Auch wenn sich laut einer neuen Umfrage nur 30 Prozent der Spanier für den Stierkampf interessieren, kann sich eine breite Mehrheit kein Dorf- oder Stadtfest ohne Stiere vorstellen.

Die Toreros sind Stars. 2006 wurden in 5000 Dörfern und Städten Spaniens 17 000 Stierspektakel – von «Corridas» bis zum Stiertreiben durch die Strassen – abgehalten, 2500 als Stierkampf in der Arena. 45 Millionen Menschen kauften eine Eintrittskarte, um zu sehen, wie einer der mehr als 15 000 Stiere getötet wurde. Oft sind die Plätze ausverkauft. Die Karten erzielen auf dem Schwarzmarkt horrende Preise.

«Der Stierkampf ist ein Spektakel, das auf der Misshandlung und dem Tod eines Tieres basiert. Es gibt keine ethische Rechtfertigung für die Folter eines höheren Säugetiers», klagt Garrido, der über eine offene Liste der in Spanien regierenden Sozialisten ins Parlament einzog. Er wird von mehreren Dutzend Intellektuellen unterstützt. Darauf ist der Südspanier stolz. Denn Kunst ist eng mit dem Stierkampf verbunden. Die Literatur von Grossen wie Federico García Lorca, die Malerei eines Pablo Picasso oder die Musik vieler Flamencokünstler wäre ohne deren Begeisterung für das blutige Spiel undenkbar.

Einer, der sich auch heute vom Stierkampf inspirieren lässt, ist Albert Boadella. Für den Theaterdirektor aus Barcelona ist das Schauspiel, bei dem der Torero dem wilden Tier seinen Willen aufzwingt, bis er es tötet, Kunst. Daher tritt er für engeren Kontakt der Künstlervereinigungen mit Toreros ein. «Die Stierkampfkunst hätte längst zum nationalen Kulturerbe erklärt werden müssen», sagt er. Obwohl jedes Jahr neben bildenden Künstlern und Schauspielern ein Stierkämpfer mit dem staatlichen Orden für Schöne Künste ausgezeichnet wird, regelt das Innenministerium den Stierkampf. Boadella verlangt «einen eigenen Organismus, der angesichts künstlerischer Aspekte, die bei der Fiesta zusammenkommen, den Stierkampf reguliert und fördert».

«Der Torero kreiert ein vergängliches Kunstwerk. Er ist der einzige Künstler, der bei seinem Schaffen das Leben aufs Spiel setzt», erklärt auch Luis Corrales aus Barcelona. Der studierte Philosoph und Unternehmer ist Vorsitzender der «Plattform zur Verteidigung der Fiesta». 700 000 Unterschriften hat seine Pro-Stierkampf-Lobby in den letzten zwei Jahren gesammelt. «Neben der Kunst ist der Stier ein wichtiger ökonomischer und ökologischer Faktor», hält er den Kritikern entgegen.
200 000 Menschen leben von der Stierzucht und vom Kampf in der Arena. Und die hügeligen Weiden mit ihren Korkeichen, auf denen die Tiere überall in Spanien fünf Jahre lang besser leben als jedes Nutztier, umfassen 3000 Quadratkilometer, ein Gebiet fast so gross wie der Kanton Waadt. Die selben Besucherzahlen, die Stierkampf-Gegner Garrido dazu dienen, das «Ausmass der Barbarei» zu beschreiben, sind für Corrales der Beweis «für die Gesundheit des Spektakels».

Am meisten kommt der Stierkampf in Katalonien im Nordosten unter Druck. Ausgerechnet Corrales Stadt Barcelona erklärte sich 2004 dank einer nationalistischen Stadtverwaltung symbolisch zur Stierkampf-freien Gemeinde. Die private Arena La Monumental war kurz davor zu schliessen. «Nicht wegen der Politik, sondern wegen Misswirtschaft. Jetzt mit einem neuen Manager, füllen sich die Ränge wieder», sagt Corrales.

«Im restlichen Katalonien sieht es nicht so gut aus», weiss Corrales. Die radikalen Nationalisten wollen mit ihrer Haltung gegen den Stierkampf zeigen, dass die Region um Barcelona anders ist als das restliche Spanien. Neben Barcelona sind nur noch zwei weitere Plätze in Betrieb. Da belästigen stets Demonstranten Tausende von Zuschauern. Dass Katalonien keine Stierkampftradition habe, ist für Corrales eine Mär. «Barcelona war jahrzehntelang Spaniens wichtigste Arena, vor Madrid», sagt er stolz. Ex-Toreros bestätigen dies.

Während sich die spanische Regierung zum Thema bedeckt hält und Umweltministerin Cristina Narbona gar für einen Skandal sorgte, als sie forderte, den Stier künftig nicht mehr in der Arena zu töten, kommt aus dem Nachbarland Frankreich unerwartete Unterstützung. Obwohl dort in der wichtigsten Tierschutzvereinigung, der SPA, 63.000 Menschen organisiert sind und sie dank namhafter Tierkampfgegner wie Brigitte Bardot viel Presse erhalten, erlebt die Tradition einen Aufschwung. Junge französische Toreros wie Sébastien Castella, füllen die Arenen im Süden des Landes. „Die Proteste sind weit davon entfernt, der Fiesta gefährlich zu werden“, weiß Corrales. Knapp die Hälfte der Franzosen ist gegen ein Verbot des Stierkampfs und viele französische Politiker sind Anhänger des Spektakels, allen voran Präsident Nicolas Sarkozy.

Doch den größten Sieg trugen die Verteidiger der Tradition in Brüssel davon. Bei einer Abstimmung im Europaparlament im Oktober 2007, die auf Initiative der deutschen Christdemokratin Elisabeth Jeggle zurückging, sprachen sich nur 178 Abgeordnete für ein Verbot des Stierkampfs aus, 412 stimmten dagegen. „Das Fest ist lebendiger denn je“, feiert Corrales das Ergebnis. In der so eben zu Ende gehenden Saison sei die Zuschauerzahl gar um zehn Prozent gestiegen, weiß er zu berichten.

Schriftstellerin Etxebarría regt nun einen Steuerboykott an. Ihren Angaben nach fliessen jährlich aus den Gemeindekassen 564 Millionen Euro in die Stierspektakel bei den Dorf- und Stadtfesten. «Das macht 47 Euro für jede spanische Familie», rechnet sie vor. «Von meiner nächsten Steuererklärung werde ich diese 47 Euro abziehen.» Mit dem eingesparten Geld will sie ihre „eigene Corrida“ feiern. „Ich denke an eine Flasche Champagner von der teuren Sorte. Ah, und natürlich an einen befreundeten Stierkampfgegner.“

Was bisher geschah: