Der eine kandidiert aus der Haft, der andere aus dem Exil: Die separatistischen Parteien Kataloniens und ihre Führungsfiguren nutzen die Wahl zum Europaparlament am 26. Mai als Bühne für ihr Anliegen. Der in Brüssel lebende Exregierungschef Carles Puigdemont will ebenso ins EU-Parlament einziehen wie sein in Madrid inhaftierter einstiger Stellvertreter Oriol Junqueras. Puigdemont kandidiert für die liberalkonservative Liste „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) und Junqueras für die „Republikanische Linke Kataloniens“ (ERC).
Tatsächlich wird wohl keiner der beiden ins EU-Parlament in Straßburg einziehen. Denn Puigdemont müsste dazu den Amtseid in Madrid vor der Wahlbehörde ablegen. Im Fall einer Rückkehr nach Spanien jedoch droht ihm die Verhaftung und ein Verfahren wie das von Junqueras und weiterer elf Separatisten. ERC-Spitzenmann Junqueras wird wohl den Eid ebenfalls nicht schwören können, da er in Untersuchungshaft sitzt und die Richter ihm auch nach der katalanischen Parlamentswahl Dezember 2017, bei der er ebenfalls Spitzenkandidat war, keinen Hafturlaub gewähren.
Doch darum geht es nicht. Beide wollen ihr Anliegen vor europäischem Publikum vertreten. „Internationalisierung des Konflikts“ nennen sie das. Außerdem streiten sich Puigdemont und Junqueras um die Vorherrschaft in der Unabhängigkeitsbewegung und wissen, dass sie die besten Zugpferde ihrer jeweiligen Option sind.
Mit der Liste zur Europawahl hat sich die harte Linie Puigdemonts in der einst eher moderaten Convergència, aus der JxCat hervorging, durchgesetzt. Auch zu der vorgezogenen spanischen Parlamentswahl am 28. April tritt mit Jordi Sànchez, der ebenfalls mit Junqueras vor Gericht steht, ein inhaftierter Aktivist an.
Junqueras, der auch am 28. April die Liste seiner ERC für das Parlament in Madrid anführt, hat sich mit den baskischen Linksnationalisten von Bildu verbündet. Das Bündnis will gemeinsam in Madrid Politik zugunsten der Selbstbestimmung machen. Auch für JxCat ist das Selbstbestimmungsrecht die rote Linie. So stimmten sie gegen den Haushalt Pedro Sánchez‘, als dieser keinen Dialog über ein zukünftiges Unabhängigkeitsreferendum führen wollte, und brachten den Sozialisten damit zu Sturz.
Das Szenario könnte sich wiederholen. Zwar sagen die Umfragen Sánchez einen Wahlsieg vorher, doch braucht er neben den Stimmen der linksalternativen Unidos Podemos auch die der baskischen und katalanischen Parteien, um eine Parlamentsmehrheit zu erhalten. Dann wäre das unbequeme Thema Selbstbestimmung wieder auf dem Tisch.