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Vetterleswirtschaft und Mastergate

 

Während in anderen Ländern abgeschriebene Absätze in einer Doktorarbeit reichen, um zurückzutreten, ist das in Spanien ganz anders. Die Regierungschefin der Region Madrid Cristina Cifuentes hat einen Mastertitel zu Regionalem Verwaltungsrecht an der Universität König Juan Carlos (URJC) bei Madrid, den sie in ihrem Lebenslauf angibt, wohl nicht rechtmässig erworben. Die Mitschüler aus dem Jahre 2012 können sich an die Politikerin der konservativen Partido Popular (PP) von Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy nicht erinnern. Sie haben weder am Unterricht noch an den Prüfungen teilgenommen. Die Abschlussarbeit ist im Uni-Archiv nicht aufzufinden. Cifuentes selbst hat sie auch nicht. „Ich bin seither vier Mal umgezogen“, begründet sie das, als würde heutzutage noch jemand riesige Stapel von Papier durchs Leben schleppen.

Als die online-Zeitung eldiario.es begann die Widersprüche einen nach dem anderen aufzudecken, brachte Cifuentes Unterlagen bei, die sich mittlerweile als gefälscht erwiesen haben. Die angeblichen Prüferinnen erklären, ihre Unterschriften seien gefälscht. Eine weitere hat Tonaufzeichnen, die belegen sollen, dass sie von den verantwortlichen für das Masterprogramm unter Druck gesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in dem was längst Mastergate genannt wird. Die spanische Rektorenkonferenz untersucht den Fall auf Wunsch der URJC, die ihre anfängliche Haltung Cifuentes zu schützen unter dem Druck der öffentlichen Kritik aufgab. Die Rektoren kamen zum Entschluss: „Es sieht so aus, als gebe es keine Abschlussarbeit.“

Mittlerweile fordern bis auf die PP alle im Madrider Regionalparlament vertretenen Parteien den Rücktritt von Cifuentes. „Weder bin ich angeklagt, noch habe ich meinen Lebenslauf gefälscht“, hielt diese auch gestern daran fest, im Amt zu bleiben. Partei- und Regierungschef Rajoy ist auf Auslandsreise. Am Freitag wird er wieder in seinem Büro sein. Alles schaut auf ihn mit der Frage, ob er Cifuentes zum Rücktritt zwingt. Wenn nicht werden die Sozialisten mit Unterstützung der linksalternativen Podemos Anfang Mai ein Misstrauensvotum durchführen. Nur ein Überläufer aus den Reihen der rechtsliberalen Ciudadanos, die bisher Cifuentes unterstützen, würde reichen, um die Regierung abzuwählen.

„Die Noch-Präsidentin Madrids und der Noch-Rektor haben das Ansehen der öffentlichen Universität zerstört und haben eine der Institutionen, die für Chancengleichheit steht, schwer beschädigt“, schreibt eldiario-Chefredakteur Ignacio Escolar, der mittlerweile von Cifuentes angezeigt wurde.

Im Laufe der journalistischen Recherchen stellte sich schnell heraus, dass Cifuentes kein Einzelfall ist. Im fraglichen Masterstudiengang haben sich über die Jahre immer wieder PP-Politiker eingeschrieben. Einige Lebensläufe sollen Auffälligkeiten aufweisen, berichtet die Presse. Der spektakulärste Fall ist wohl der von Vizegeneralsekretär Pablo Casado. Er erwarb den Titel vier Jahre vor Cifuentes. Auch er besuchte den Unterricht nicht, legte keine Prüfungen ab und schrieb vier Arbeiten, mit insgesamt nur 90 Seiten. Ausserdem bekam er von den 22 Fächern 18 erlassen. Er habe schließlich Jura studiert, erklärt Casado, warum.

Die URJC hat in Madrid seit jeher den Ruf der PP nahezustehen. Sie wurde 1996 unter einer konservativen Regionalregierung gegründet. Professoren und Rektoren wechseln immer wieder von der Uni in die Politik und Staat und zurück. So wurde der Rektor unter dem Cifuentes und Casado ihren Master in der Amtszeit Rajoys zum Verfassungsrichter berufen./Foto: CristinaCifuentes (flickr)

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