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Katalanische Schulen im Visier

Egal ob an der Mossén Albert Vives Schule, der La Salle oder der Pau Claris, die Antwort am Telefon ist immer die gleiche: „Vielen Dank für Ihr Interesse, aber wir geben keine Erklärungen ab.“ Die Justiz ermittelt gegen mehrere Lehrer und die Direktoren der drei Schulen im katalanischen La Seu d‘Urgell. „Hassverbrechen“ lautet der Vorwurf. Sie sollen die Schüler rund um das verbotene Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens aufgehetzt haben, so eine kleine Gruppe von Eltern, die Anzeige erstatteten. Es sei richtig für Katalonien zu wählen, sollen die Lehrer im Unterricht vertreten haben. Und sie hätten nach dem brutalen Polizeieinsatz am Wahltag selbst, der über 900 Verletzte in ganz Katalonien hinterließ, über die spanische Nationalpolizei und die Guardia Civil hergezogen sein. Unter denen, die Anzeige erstatteten befinden sich Beamte eben jener Guardia Civil.

Die Version der Lehrer bei ihrer ersten richterlichen Vorladung freilich sieht ganz anders aus. Es sei normal, dass politische Debatten im Unterricht entstünden. Die Lehrer würden dann vermittelnd eingreifen. Nach dem brutalen Polizeieinsatz hätten sie gar erboste Schüler beruhigt und ihnen erklärt, dass die Arbeit der Polizei auch gute Seiten habe und für die Gesellschaft notwendig sei. „Das einzige, was die Lehrer machen, ist Werte, wie das Zusammenleben, zu lehren“, verteidigt der Verantwortliche des katalanischen Bildungsministerium für die Pyrenäenregion rund um La Seu d‘Urgell, Miquel Àngel Cullerés, seine Beamte.

„Dass keiner am Telefon antwortet, hat eine ganz einfache Erklärung. Die Lehrer haben Angst“, sagt Manel Pulido, Generalsekretär der Lehrergewerkschaft des Verbandes CCOO in Katalonien. Denn Katalonien steht seit Ende Oktober unter Zwangsverwaltung aus Madrid. Nach einer Unabhängigkeitserklärung durch das katalanische Autonomieparlament am 27. Oktober, enthob Madrid die katalanische Regierung mit Hilfe des Verfassungsartikels 155 ihres Amtes, übernahm alle Ministerien Kataloniens, löste das Parlament auf und setzte für den 21. Dezember regionale Neuwahlen an.

Pulido erwartet weitere Vorladungen nach den Wahlen, vor allem der Direktoren von Schulen, die beim Referendum als Wahllokal dienten. Dabei waren es die Eltern, die dies ermöglichten und nicht die Schulleitung. Das katalanische Bildungsministerium hatte sie auf Drängen Pulidos für das fragliche Wochenende am 1. Oktober vom Amt suspendiert, um sie so aus der Schusslinie zu nehmen.

Dennoch ist Schule und Bildung das Thema schlechthin im Wahlkampf derer, die den 155 und die Einheit Spaniens verteidigen. „In den katalanischen Schulen wird Hass gelehrt“, erklärt die Spitzenkandidatin der rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) Inés Arrimadas. Anstatt kritische Bürger heranzuziehen, sorge das Schulsystem für ständigen Nachschub an bedingungslose „Soldaten“ und „Robotern der Unabhängigkeitsbewegung“, so die stärkste Partei bei denen, die sich gegen die Unabhängigkeit aussprechen.

Der Politikwissenschaftler an der Universität Carlos III in Madrid, Lluis Oriols kann dies widerlegen. Seine Untersuchung, der Umfragen der offiziellen spanischen und katalanischen Meinungsforschungsinstituten zugrunde liegen, zeigt, dass der Anteil derer, die für Unabhängigkeit sind, in den letzten Jahren tatsächlich stark gestiegen ist. Nur er nahm in allen Altersgruppen gleichmässig zu. „Der Impuls des Wunsches nach Unabhängigkeit betrifft alle Altersgruppen, egal ob die Person im katalanischen System auf die Schule ging, oder unter der Franco-Diktatur“, schlussfolgert Oriols.

Der Grund ist für ihn nicht die Indoktrination, die Ciudadanos und auch die in Madrid regierende Partido Popular (PP) beschwören, sondern die Krise der letzten Jahre, die Korruption und die Politik der PP-Regierung unter Mariano Rajoy gegen Katalonien.

Noch bevor dieser 2011 an die Macht kam, sammelte Rajoys PP Unterschriften gegen ein neues Autonomiestatut für Katalonien und brachte schließlich die wichtigsten Punkte vor dem Verfassungsgericht zu Fall. Der Wunsch nach einem neuen Finanzsystem für die Region lehnte Rajoy ebenso ab, wie die Forderung nach einer Volksabstimmung über Unabhängigkeit oder verbleib bei Spanien, die von 80 Prozent der Katalanen unterstützt wird.

José Ignacio Wert, Bildungsminister Rajoys von 2011 bis 2015, versprach die Schulen in Katalonien „zu hispanisieren“. Der Unterricht wird dort in der katalanischen Landessprache abgehalten. Für viele Anhänger der PP und Ciudadanos ist dies ein schwerer Angriff auf das geliebte Kastilisch, die Sprache die allgemein als Spanisch bekannt ist. Seit Anfang Dezember sammelt eine Organisation mit dem Namen „Wir sprechen spanisch“ in ganz Spanien gar Unterschriften für eine Gesetzesinitiative gegen das in der Verfassung verankerte Recht auf Schulbildung in der jeweiligen Regionalsprache.

Studien – denen ebenfalls Daten des Bildungsministeriums in Madrid und von Pisa zugrunde liegen – belegen, dass Kinder aus nicht katalanischsprachigen Familien keinesfalls schlechter abschneiden, als ihre Mitschüler aus katalanischem Haus. „Ob jemand gut oder schlecht abschneidet hat viel mehr mit der sozialen Herkunft zu tun. Kinder aus sozial benachteiligten katalanisch-sprachigen Haushalten haben die gleichen Probleme wie ihre Mitschüler aus spanischsprachigen Familien oder Familien anderer Sprachen mit dem gleichen sozialen Hintergrund“, erklärt Mònica Nadal, Studienchefin der Stiftung Jaume Bofill. Und in Sachen Spanischkenntnisse liegen die katalanischen Kinder über dem landesweiten Durchschnitt.

Für Nadal ist die Sprachpolitik an den Schulen ein Erfolg. Denn dort fände linguistische Integration statt. Dies wiederum führe dazu, dass später alle die gleichen Chancen beim Studium und bei der Suche nach Arbeit hätten. „Deshalb genießt das System breiteste Unterstützung“, erklärt Nadal. Die Familien, die gegen die Einschulung ihrer Kinder in katalanischer Sprache protestiert haben, beschränkt sich auf wenige Hundert. Und das bei knapp einer Million Schüler und Studenten in der Region. „Die ganze Debatte ist reine Demagogie“, beendet Nadal ihre Ausführungen.

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