© 2017 Reiner Wandler

„Wir vertrauen voll und ganz auf die belgische Justiz.“

Interview mit dem Anwalt Gonzalo Boye (52). Er ist der Verteidiger der beiden Minister Meritxell Serret und Toni Comín und hat das juristische Team in Brüssel aufgebaut, dass die Katalanen verteidigt.

Heute findet in Brüssel die erste Instanz im Auslieferungsverfahren gegen die fünf Mitglieder der abgesetzten katalanischen Regierung – unter ihnen Regierungschef Carles Puigdemont – statt, die sich in Belgien aufhalten. Lässt sich die Auslieferung überhaupt verhindern?

Es kann sein, dass dem Antrag der Madrider Audiencia Nacional in erster Instanz stattgegeben wird. Der Richter in Brüssel steht unter einem enormen Druck. Aber ich sehe nicht, wie das, was Spanien im Auslieferungsantrag aufführt, in der nächsten Instanz vor dem belgische Recht und europäischem Recht Bestand haben soll.

Sind Auslieferungsanträge innerhalb der Europäischen Union nicht reine Formsache?

Schon, aber wenn die Straftaten, die den Betroffenen vorgeworfen werden im europäischen Auslieferungsabkommen nicht vorgesehen sind, dann ist das nicht so einfach.

Was heisst das?

Es geht um Rebellion und Aufstand und dazu muss Gewalt im Spiel sein. Die Auslegung des Gesetzes durch die Audiencia Nacional ist völlig überzogen. Dahinter stehen ganz klar politische Interessen. Die Richter in Madrid gehen davon aus, dass es Gewalt ist, wenn sich eine Menschenmenge völlig friedlich der Polizei und der Guardia Civil in den Weg stellt. Diese Definition kommt einer schweren Einschränkung des Demonstrationsrechtes gleich.

Ausserdem geht die Audiencia Nacional davon aus, dass sechs Millionen Euro veruntreut wurden, um das Referendum vom 1. Oktober vorzubereiten. Der Oberste Gerichtshof, wo die Mitglieder des Präsidiums des Autonomieparlaments wegen der gleichen Delikte vor Gericht stehen, sieht dafür keinerlei Beweise.

Aber die Angeklagten haben doch ganz klar gegen die Verfassung verstoßen.

Sich auf eine Unabhängigkeitserklärung zu einigen, diese dem Parlament vorzulegen, damit darüber abgestimmt wird, die Durchführung einer Volksabstimmung … das wäre nirgends in Europa Rebellion oder Aufstand. So etwas ist auch in anderen Regionen passiert, zum Beispiel in Norditalien, und es kam dafür niemand ins Gefängnis.

Aber ein Unabhängigkeitsreferendum ist in der spanischen Verfassung nicht vorgesehen.

Ein Referendum kann nicht verpflichtend sein, jedwedem politischen und rechtlichem Wert entbehren, egal was du willst, aber kein Verbrechen. Die Regierung hat das Referendum abschätzig als Picknick bezeichnet. Wir haben acht Personen in Haft, sechs auf freiem Fuss, nachdem sie eine Kaution hinterlegt haben, fünf sollen ausgeliefert werden. Und das alles wegen einem Picknick? Vielleicht sollte die Regierung erstmal klären, was das denn nun war. Picknick oder Rebellion. Dass jemand dafür verfolgt wird, dass er Gesetzte verabschiedet und eine Volksabstimmung durchgeführt hat, distanziert Spanien vom restlichen Europa.

Aber die Gesetze wurden doch vom Verfassungsgericht für illegal erklärt und die katalanische Regierung hat dennoch weitergemacht.

Das ist die größte Lüge der Regierung in Madrid. Das Referendumsgesetz wurde nicht für illegal erklärt, es wurde nur ausgesetzt. Und dann stellt sich die Frage nach der Zusammensetzung des Verfassungsgerichtes. Von zwölf werden vier von der Regierung ernannt, zwei vom Senat, wo die Regierungspartei die absolute Mehrheit hat, vier vom Kongress und zwei vom Richterrat, wo die Konservativen auch die Mehrheit haben. Wenn das keine politisches Gremium ist.

In Spanien ist der Franquismus noch immer präsent. Im Falle Katalonien wird das gesamte Recht in Funktionen des Artikels 2 der Verfassung interpretiert. Dort heisst es: „Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier.“ Die Richter ordnen dem alles unter.

In Brüssel steht nicht der katalanische Unabhängigkeitsprozess vor Gericht, sondern Spanien und die Qualität seiner Demokratie und Justiz.

Stimmt es, dass Spanien im Auslieferungsantrag Delikte anführt, die denen, die in Spanien geblieben sind gar nicht vorgeworfen werden?

Die Anklage in Madrid geht von Rebellion, Aufstand und Veruntreuung. Im Auslieferungsantrag kommen Befehlsverweigerung und Amtsmissbrauch hinzu. Das heißt, in Spanien sitzen acht Angeklagte wegen dreier Vergehen in Untersuchungshaft. Und die Auslieferungsanträge gegen die Mitangeklagten belaufen sich auf fünf Anklagepunkte.

Was bedeutet das?

Die internationale Zusammenarbeit der Justiz beruht auf gegenseitigem Vertrauen. Und dieses Vertrauen geht verloren, wenn einer der Beteiligten versucht, den anderen auszutricksen.

Nach der zweiten Instanz können Sie in Berufung gehen?

Und von dort aus, wenn nötig nach Straßburg vor den Europäischem Menschenrechtshof. Der kann die Auslieferung bis zu einer endgültigen Entscheidung aufschieben. Das kann mehrere Jahre dauern. Aber wir glauben nicht, dass der Gang nach Europa nötig wird. Wir vertrauen voll und ganz auf die belgische Justiz.

Was bisher geschah: