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U-Haft für katalanische Regierung

Richterin Carmen Lamela am spanischen Sondergerichtshof für Terror, Bandenkriminalität und Finanzdelikte, der Audiencia Nacional in Madrid, erließ am Donnerstag einen Haftbefehl gegen die Mitglieder der katalanischen Regierung. Vizeregierungschef Kataloniens, Oriol Junqueras, sowie sieben Minister wurden noch am Abend in U-Haft überführt. Nur der Minister für Unternehmensfragen, Santi Vila, kam mit einer Kaution von 50.000 Euro davon. Regierungschef Carles Puigdemont und vier weitere Minister waren nicht zur Anhörung erschienen. Sie befinden sich seit Montag in Belgien. Das Gericht erließ einen europäischem Haftbefehl. Die gesamten katalanische Regierung, die von Madrid abgesetzt worden war, wird Rebellion, Aufstand und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Darauf stehen bis zu 55 Jahre Gefängnis.

Lamela gab damit einem Antrag der Staatsanwaltschaft statt. Sie begründete die Haft mit der Gefahr, dass die Angeklagten Beweise vernichten und weiter Straftaten begehen könnten. Die katalanische Regierung hatte am 1. Oktober, trotz Verbot durch das spanische Verfassungsgericht, ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens abgehalten. Über 90 Prozent stimmten für eine Loslösung von Spanien. 43 der Wahlberechtigten gingen trotz schwerer Polizeigewalt an die Urnen.

Nach längerem politischen Streit mit der spanischen Regierung unter Mariano Rajoy stimmte das Autonomieparlament vergangenen Freitag für die Unabhängigkeit der nordostspanischen Region. Madrid setzte daraufhin mit dem Verfassungsartikel 155 in der Hand die Regierung Puigdemonts ab, übernahm die Verwaltung der Region, löste das Autonomieparlament auf und rief Neuwahlen für den 21. Dezember aus.

Puigdemont und seine Minister hatten verlangt, per Videokonferenz aussagen zu dürfen. Das Gericht in Madrid ging nicht darauf ein. Bis die fünf per europäischen Haftbefehl an Spanien ausgeliefert werden, gehen wohl mehrere Wochen ins Land. Puigdemonts belgischer Anwalt Paul Bekaert ist Spezialist in der Verhinderung von Auslieferungen. Er arbeitete unter anderem für Mitglieder der baskischen Separatistenorganisation ETA, die nach Belgien geflohen waren.

Puigdemont und seine „legitime Regierung Kataloniens“ veröffentlichten am Abend vor der Anhörung in Brüssel ein Kommuniqué. Darin beschuldigen sie die Justiz “ auf Anordnung der Regierung des spanischen Staates“ unter Ministerpräsident Mariano Rajoy zu handeln.

Bis auf den Minister für Unternehmensfragen Vila beantworteten die vor Gericht erschienenen Angeklagten nur die Fragen ihrer Verteidiger. Vila hingegen gab auch auf die Richterin und die Staatsanwaltschaft ein. Er erklärte, dass er den Dialog gesucht habe, um die Unabhängigkeitserklärung zu verhindern. Und damit aber keinen Erfolg hatte. Vila war deshalb nur einen Tag vor der entscheidenden Sitzung am vergangenen Freitag des Autonomieparlaments auf der die Katalanische Republik ausgerufen wurde, von seinem Ministerposten zurückgetreten. Vila kündigte vor wenigen tagen an, sich um das Amt des Spitzenkandidates seiner und Puigdemonts Demokratisch Europäischen Partei Kataloniens (PDeCAT) für die von Madrid angesetzten Wahlen am 21. Dezember bewerben zu wollen.

Der Obersten Gerichtshof, nur wenige Meter von der Audiencia Nacional entfernt, vertagte die zeitgleich angesetzte Anhörung der Präsidentin des katalanischen Parlaments, Carme Forcadell, und fünf Mitglieder des Parlamentspräsidiums auf den 9. November. Richter Pablo Llarena gab damit einem Antrag der Verteidigung statt, die mehr Zeit für eine effektive Prozessvorbereitung gefordert hatte. Gegen die sechs wurde polizeiliche Aufsicht verhängt. Das heißt, sie müssen jederzeit telefonisch erreichbar sein und angeben, wo sie sich in den kommenden Tagen aufhalten. Auch sie werden der Rebellion, des Aufstandes und der Veruntreuung beschuldigt. Anders als die Mitglieder der Regierung stehen sie nicht vor der Audiencia Nacional, da sie bis zu den Neuwahlen am 21. Dezember noch immer parlamentarische Immunität genießen und deshalb nur der Obersten Gerichtshof gegen sie ermitteln darf.

In Katalonien kam es vor vielen Behörden, Unternehmen und Büros zur Mittagszeit zu Protesten gegen die Gerichtsverfahren. Gerufen hatte die Katalanische Nationalversammlung (ANC) und Òmnium deren beiden Vorsitzende Jordi Sánchez und Jordi Cuixart seit mehr als zwei Wochen wegen „Aufstand“ in Untersuchungshaft sitzen. Für ihr Verfahren vor der Audiencia Nacional ist ebenfalls Richterin Carmen Lamela zuständig.

Zur größten Kundgebung kam es auf der Plaça Sant Jaume in Barcelona vor dem Sitz der katalanischen Regierung Generalitat. Die Versammelten riefen: „Puigdemont ist unser Präsident!“ – „Spanische Justiz raus!“ und „Freiheit!“. Für den Abend waren weitere Proteste in ganz Katalonien auf den Rathausplätzen sowie vor dem Parlamentsgebäude in Barcelona angekündigt.

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