© 2017 Reiner Wandler

Fehlgeschlagenen Notbremsung

Nichts ist klar und alles offen nach einem langen Tag in Barcelona. Um die Mittagszeit tauchten erstmals Gerüchte auf, der Chef der katalanischen Regierung Generalitat werde Neuwahlen ausrufen, um so zu verhindern, dass Madrid mit dem Verfassungsartikel 155 in der Hand Zwangsmaßnahmen gegen die Autonomie erlasse. Er werde in Kürze vor die Presse treten und dies bekanntgeben.

Nach mehreren Vertagungen war es um 17 Uhr soweit – und dann das: Er habe tatsächlich erwogen, Wahlen auszurufen, wäre aber zum Schluss gekommen, dies nicht zu tun, erklärte Puigdemont zum Erstaunen aller. „Meine Pflicht, war es alles zu versuchen“, aber er habe keinerlei Garantien erhalten, dass dies die Anwendung des Verfassungsartikels 155 ausgesetzt hätte. „Ich habe keine verantwortungsbewusste Antwort der PP erhalten“, warf er der Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy vor. Diese hatte tatsächlich angekündigt, auch im Falle von Neuwahlen an der Intervention in Kataloniens Institutionen festzuhalten. „Jetzt liegt es am katalanischen Parlament durchzuführen, was die Mehrheit beschließt“, fügte er hinzu. Die Plenarsitzung in Barcelona begann kurz danach und wird mindestens bis Freitagnachmittag andauern. Diese Entscheidung kann, falls sich eine Mehrheit findet, auch die Unabhängigkeit sein. Niemand könne sagen, dass er nicht zu Opfern bereit gewesen sei, entschuldigte Puigdemont das Hin und Her.

Die Erleichterung auf dem Platz vor dem Regierungssitz der Generalitat war deutlich zu spüren. Dort hatten sich seit den ersten Gerüchten über vorgezogene Wahlen Tausende von Studenten und Schüler, die sich im Streik befanden, sowie spontan per sozialer Netzwerke mobilisierter Befürworter der Unabhängigkeit versammelt. Bis zu Puigdemonts Rede waren immer wieder Rufe wie „Verräter zu hören. Nach seiner Ansprache wurden weitere Protestaktionen abgesagt.

Der katalanische Regierungschef war in den letzten Tagen immer stärker unter Druck derer geraten, die eine einseitige Unabhängigkeitserklärung ablehnen. Neben Vertretern der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Unternehmern, wurden auch immer mehr Stimmen aus den Reihen seiner Demokratisch Europäischen Partei Kataloniens (PDeCat) laut. Die PDeCat stellt innerhalb Puigdemonts Wahlbündnisses für die Unabhängigkeit „Gemeinsam für das Ja“ (JxSí) den moderaten Flügel. Selbst Regierungsmitglieder wollten zum Schluss von einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung nicht mehr wissen. Doch die Befürworter der katalanischen Republik haben sich wohl einmal mehr durchgesetzt.

Laut Presseberichte hatte der baskische, nationalistische Ministerpräsident Iñigo Urkullu seinen katalanischen Kollegen zu Wahlen bewegen wollen. Urkullu verhandelte wohl im Hintergrund mit der Regierung in Madrid unter dem konservativen Ministerpräsident Mariano Rajoy. Urkullu wollte erreichen, dass Madrid nach der Ankündigung von Neuwahlen die Zwangsmaßnahmen mit Hilfe des Verfassungsartikels 155 aussetzt.

Vergebens: „Wir müssen Katalonien retten, so sehr seine Regierenden uns Ungesetzliches aufzwingen wollen“, sagte die Vize-Ministerpräsidentin Spaniens, Soraya Sáenz de Santamaría nur kurz nach Puigdemonts Auftritt in der zweiten Kammer, dem Senat, der in Madrid über die Anwendung des 155 berät. Sáenz de Santamaría fordert den Senat auf, „für die Demokratie zu arbeiten, damit sich alle Katalanen wieder untereinander wieder zusammenfinden können und anschließend mit allen Spaniern“. Sie forderte den Senat auf, am Freitag für die Aussetzung der Autonomie in Katalonien mit Hilfe des 155 zu stimmen.

Andre Gil, Sprecher der sozialistischen PSOE im Senat, sicherte der Regierung in Madrid volle Unterstützung zu und richtete sich gleichzeitig einmal mehr an Puigdemont. „Wir fordern Sie auf, Wahlen auszurufen, um ein Desaster zu verhindern, von dem sich Katalonien und Spanien lange nicht erholen wird“, sagte Gil. Im Falle von katalanischen Neuwahlen werde sich die PSOE für eine Aussetzung des 155 stark machen, hatten die Sozialisten bereits in den vergangenen Tagen angekündigt.

Rajoy braucht die PSOE nicht. Denn seine PP hat im Senat die absolute Mehrheit. Und die rechtsliberalen Ciudadanos (C‘s) verlangen ebenfalls an einer Intervention in die Geschäfte der katalanischen Autonomie festzuhalten, ganz egal was passiert.

Was bisher geschah: