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Zwangsmaßnahmen gegen Katalonien

 

Es ist soweit. Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy leitet Zwangsmaßnahmen gegen Katalonien ein. „Dies setzt die Autonomie und die Selbstregierung Kataloniens nicht außer Kraft, aber es enthebt diejenigen Personen ihres Amtes, die Autonomie und Selbstregierung ausserhalb des Gesetzes gestellt haben“, erklärte Rajoy nach einer Sondersitzung seines Kabinetts am Samstag früh. Doch was er dann vorstellte, sieht ganz so harmlos nicht aus.

Der Chef der Autonomieregierung „Generalitat“, Carles Puigdemont, sein Stellvertreter Oriol Junqueras sowie alle Minister werden ihres Amtes enthoben werden. Auch das katalanische Parlament büßt Kompetenzen ein. Die gewählten Volksvertreter haben fortan nicht das Recht, eine neue Regierung zu bilden und Rajoy wird eine Institution ins Leben rufen, die gegen alle Entscheidungen des Parlaments in Barcelona binnen 30 Tage ein Veto einlegen, wenn sie als nicht für verfassungsgemäß erachtet werden.

Rajoy geniest die Unterstützung von König Felipe VI.. Am Freitagabend warf er Puigdemont bei seiner Ansprache bei der Vergabe der „Preise der Prinzessin von Asturien“ einen „inakzeptablen Versuch der Abspaltung“ vor. Katalonien sei ein „wesentlicher Teil Spaniens des 21. Jahrhunderts“, sagte der spanische König „Wir wollen auf das, was wir gemeinsam aufgebaut haben, nicht verzichten.“

Bis zu Neuwahlen bleibt Katalonien direkt der Regierung Rajoys unterstellt. All dies sei notwendig, da sich die katalanische Regierung „ausserhalb des Gesetzes gestellt“ habe, erklärte Rajoy und verwies auf das Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober, dass trotz Verbot durch das Verfassungsgericht abgehalten wurde. „Die Regierung musste Artikel 155 durchsetzen. Es war nicht unser Wunsch, noch unsere Absicht“, sagte Rajoy am 21. Oktober.“ Aber in dieser Situation kann keine Regierung irgendeines demokratischen Landes akzeptieren, dass das Gesetz ignoriert wird.“ Es ist zum ersten Mal in der 39-jährigen Geschichte der aktuellen spanischen Verfassung, dass solche Zwangsmaßnahmen unter dem Artikel 155 gegen eine Autonome Region anberaumt werden.

Ob die Zentralregierung Politiker oder Technokraten nach Barcelona schickt, oder die Ministerien in Madrid die Verwaltung Kataloniens fortan übernehmen, ließ Rajoy offen. Madrid wird damit so sensible Bereiche wie die Führung der Autonomiepolizei Mossos d‘Esquadra, die Finanzen der Region, aber auch Bildung und das öffentliche Fernsehen und den Rundfunk übernehmen.

Das lässt nichts Gutes erwarten. Denn Rajoys konservative Partido Popular (PP) sowie die rechtsliberalen Ciudadanos kritisieren seit Jahren die Lehrer des das katalanischsprachige Schulsystems, den Nationalismus zu fördern, und die Medien, nicht objektiv zu sein. Und das obwohl das spanische Fernsehen TVE immer wieder von internationalen Stellen wegen seiner parteilichen Berichterstattung gerügt wurde und das katalanische Pendant nicht. Die Journalistengewerkschaft sowie Lehrer- und Elternverbände, haben bereits Proteste angekündigt.

All dies habe zum Ziel, „zur Legalität zurückzukehren, die Normalität wieder zu erlangen, weitere wirtschaftliche Erholung zu sichern, und so bald wie möglich Wahlen anzusetzen“, so Rajoy.

Das Recht Neuwahlen zum Autonomieparlament auszurufen, fällt mit den Zwangsmaßnahmen Rajoy selbst zu. Er werde dies tun, sobald es gelinge, die Lage zu normalisieren. Er sprach von einer Frist von bis zu sechs Monaten. Die sozialistische PSOE und die rechtsliberalen Ciudadanos (C‘s), die mit Rajoy die Maßnahmen in Katalonien abgesprochen haben, würden am liebsten bereits im Januar an die Urnen gehen. „Wir werden sehen!“ wich Rajoy einer entsprechenden Frage aus.

Rajoy malte ein erschreckendes wirtschaftliches Szenario aus. Ein unabhängiges Katalonien würde 25 bis 30 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verlieren. Die Regierung in Madrid rechnet damit, dass das Wirtschaftswachstum mehr als ein Prozent zurückgehen und das Defizit um 0,5 Prozent steigen wird. Falls der Konflikt länger anhält, könnten die Folgen noch schlimmer sein. 1.000 Unternehmen hätten ihren Hauptsitz in den letzten Wochen aus Katalonien wegverlegt. Schon deshalb müsse er eingreifen. Rajoy, der vor zwei Wochen in aller Eile ein Dekret erließ, dass die Verlegung des Hauptsitzes erleichterte, verlangt jetzt, „dass nicht weitere Unternehmen und Guthaben gehen.“

Bis zur Umsetzung der Zwangsmaßnahmen wird wohl noch eine Woche ins Land gehen. Noch am Samstag befasste sich das Präsidium des Senats mit dem Dokument. Anschließend wird es einer Kommission aus Vertretern aus allen Autonomen Regionen Spaniens vorgelegt. Diese studiert den Plan, hört Puigdemont und stimmt dann ab. Sollten sie, was zu erwarten ist, mehrheitlich der Anwendung des 155 zustimmen, wird – vermutlich am kommenden Freitag – eine Plenarsitzung des Senats einberufen. Rajoys Partido Popular (PP) hat im Senat die absolute Mehrheit und wird zudem von PSOE und C‘s unterstützt.

Gegenstimmen sind nur von Podemos und den Nationalisten aus unterschiedlichen spanischen Regionen zu erwarten. Diese verlangten in den vergangenen Wochen immer wieder einen Dialog beider Seiten. Rajoy lehnte dies im Rahmens einer Pressekonferenz erneut ausdrücklich ab und das obwohl der katalanische Regierungschef Puigdemont immer wieder Gespräche angeboten hatte und gar ein persönliches Treffen der beiden Kontrahenten vorschlug.

Puigdemont gab sich bei einer Fernsehansprache am Samstagabend weiterhin kämpferisch. „Demokratisch die Zukunft einer Nation zu entscheiden ist kein Verbrechen“, erklärte er und warf Rajoy vor, „die schlimmste Entscheidung“ seit der Franco Diktatur getroffen zu haben. „Die Regierung hat sich unrechtmäßig zum Vertreter der Katalanen gemacht“, sagte er und erinnert Rajoy daran, dass seine Partido Popular in Katalonien kaum Stimmen erzielt. Die Generalitat sei älter als die spanische Verfassung erinnert der Mann, der stolz den Titel 130. Präsident der Generalitat trägt. Konkrete Schritte schlug Puigdemont nicht vor. Er kündigte in seiner Rede, die er auf katalanisch, spanisch und englisch hielt, nur an, in der kommenden Woche das katalanische Parlament einzuberufen.

Was dann geschehen wird, darüber gibt es zahlreiche Spekulationen. Puigdemont hatte am Samstagmorgen einer Sondersitzung seines Kabinetts einberufen. Mit am Tisch saßen die Vertreter der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) und Òmnium. Diese beiden Organisationen bilden das Rückgrat der Bürgerbewegung für die Unabhängigkeit. Ihre Chefs wurden vergangenen Montag in Haft genommen. Der Aufruf zu friedlichen Demonstrationen wird ihnen als „Aufstand“ ausgelegt.

Bei der Kabinettssitzung wurde über die Bildung einer katalanischen „Regierung der nationalen Einheit“ mit Vertretern von Parteien und bekannten Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft beraten. Diese könnte dann kommende Woche als Antwort auf den 155 die Unabhängigkeit ausrufen. Für diesen Fall bereitet die spanische Generalstaatsanwaltschaft die Verhaftung Puigdemonts wegen „Rebellion“ vor. Darauf stehen bis zu 30 Jahre Haft.

Am Samstagnachmittag gingen in Barcelona rund eine halbe Million Menschen für die Freilassung der beiden Inhaftierten auf die Straße, unter ihnen die gesamte kalananische Regierung. Puigdemonts Vize Oriol Junqueras sprach von „Totalitarismus“ und „Staatsstreich“. Die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau von „einem unerhörten und durch nichts zu rechtfertigenden Akt“. Und selbst der FC Barcelona veröffentlichte ein Kommuniqué. „Angesichts der Anwendung des Artikels 155, bekräftigen der Club die Unterstützung der demokratisch von den Bürgern gewählten Institutionen Kataloniens“, heißt es.

In den Reihen der Sozialisten führt die Beschluss des Parteivorstand in Madrid die Regierung bei ihrer Intervention in Katalonien zu unterstützen zu schweren Spannungen. Vier Bürgermeister aus den Vorstädten Barcelonas verlangten gestern Abend ihren „radikale Ablehnung der Anwendung des Artikels 155 und aller sich daraus ableitenden Maßnahmen.“ Die Bürgermeisterin von Santa Coloma de Gramanet, Núria Parlon trat von ihrem Amt im PSOE-Vorstand zurück.

 

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Meine Meinung

Putsch

 

Ministerpräsident Mariano Rajoy setzt die katalanische Autonomie ausser Kraft. Er beruft sich dabei auf den Artikel 155 der spanischen Verfassung und gibt dem ganzen so einen rechtlich einwandfreien Anstrich. Doch was er da macht verdient nur einen Namen: Putsch.

Denn auch wenn es aus Spanien immer wieder heisst, dass auch die deutsche Verfassung Zwangsmaßnahmen zur Umsetzung von Bundesrecht auf Länderebene kenne, wird dabei eines vergessen: Es gibt verfassungsmässig geschützte Rechte, in die kann und darf eine Regierung nicht eingreifen. Und genau hier schlägt Rajoy über die Stränge.

Die rebellische Regierung Kataloniens, die – das ist richtig, gegen das Verfassungsgericht ein Unabhängigkeitsreferendum hat durchführen lassen – wird entlassen, die Verwaltung Technokraten aus Madrid unterstellt, die vor Ort keinerlei Autorität genießen. Die sozialen Konflikte werden sich verschärfen.

Die Zentralregierung übernimmt nicht nur die Kontrolle über Finanzen und Autonomiepolizei sondern auch Bildung, Funk und Fernsehen. Das verheisst nichts Gutes.

Denn der Europarat vergleicht Rajoys Medienpolitik und sein Staatsfernsehen TVE mit Ungarn, Rumänien oder der Ukraine. Ausgerechnet diese Regierung will jetzt für Neutralität bei TV3 sorgen, das nie international gerügt wurde. Wo bleibt die Medienfreiheit, die ebenfalls in der Verfassung garantiert wird?

Ausserdem machen Rajoys Konservativen seit Jahren Stimmung gegen das Katalanische als Hauptunterrichtssprache und werfen den Lehrern vor damit kleine Unabhängigkeitsbefürworter heranzuziehen. Jetzt übernehmen genau diese Politiker die Kontrolle über das Schulsystem.

Ausserdem kann Madrid fortan Veto gegen die Beschlüsse der des katalanischen Parlaments einlegen. Rajoys Verwalter unterstehen somit keinerlei demokratischer Kontrolle vor Ort. Wenn das kein Putsch ist.

Was bisher geschah: