© 2017 Reiner Wandler

Am Tag danach

 

Vicent Bueso ist „sehr traurig“. „Wie konnte es nur soweit kommen?“ fragt der 45-jährige Wirt der kleinen Kneipe Can Joan in der Altstadt von Badalona angesichts der brutalen Polizeieinsätze bei der Volksabstimmung zur Unabhängigkeit am Sonntag. „Die Regierung in Madrid hatte das Referendum für illegal erklären lassen, es war doch nicht nötig auch noch alle zusammenzuknüppeln“, sagt Bueso. 844 wurden teils schwer verletzt.

Im Fernsehen kommt nichts anders als das Ergebnis des Referendums und seine Folgen. 89,3 Prozent beantworteten die Frage, ob sie ein unabhängige Republik Katalonien wollen, mit „Ja“. 7,8 Prozent stimmten mit „Nein“, Der Rest waren leere und ungültige Stimmzettel. Insgesamt hatte sich 42,6 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligt, massiver Behinderung und strafrechtlicher Verfolgung der Referendumsvorbereitungen durch die Justiz und brutalen Polizeieinsätzen am Wahltag selbst.

„An diesem Tag der Hoffnung und des Leidens haben Kataloniens Bürger das Recht auf einen unabhängigen Staat in Form einer Republik erworben“, erklärte Autonomiepräsident Carles Puigdemont noch am Sonntagabend in einer Ansprache. Am Montag traf er sich gestern mit seiner Regierung, um weitere Schritte zu beratschlagen.

In den kommenden Tagen will er dem katalanischen Parlament das Ergebnis der Abstimmung vorlegen, „damit dieses im Sinne des Gesetzes für ein Referendum“ verfahre. Dieses vom Verfassungsgericht suspendierte Gesetz sieht eine Unabhängigkeitserklärung binnen 48 Stunden nach erfolgreicher Abstimmung vor. Ob es soweit kommen wird, weiß niemand zu sagen.

In Badalona kam die Polizei nicht. Doch vor dem Wahllokal in dem Bueso wählen sollte, kam es zu Diskussionen zwischen Menschen mit der spanischen und anderen mit der katalanischen Fahne. Das habe seiner Frau Angst gemacht: „Wir sind gegangen.“ Für Bueso haben am Sonntag beide Regierungen ihre Legitimität verloren: „Madrid wegen der Gewalt, und Barcelona weil sie weiter zum Wählen aufgerufen haben, obwohl sie wussten, dass die Polizei mit Gewalt reagiert und die Menschen gefahr liefen.“

„Es hätte einfach nicht soweit kommen dürfen. Wir leben doch im 21. Jahrhundert“, sagt Bueso und schüttelt den Kopf nachdenklich. „Wir haben ein richtig dickes Problem. Ich hoffe nur, dass die katalanische Regierung nicht einseitig die Unabhängigkeit ausruft, das führt doch nirgends hin.“

Geht es nach dem spanischen Ministerpräsident Mariano Rajoy, hat es all das gar nicht stattgefunden. „Heute hat es kein Referendum für eine Selbstbestimmung in Katalonien gegeben“, erklärte der Konservative in einer Ansprache vor den Kameras des staatlichen Fernsehens, die angesichts der Bilder der Polizeieinsätze schon fast surrealistisch anmutete. Die Verantwortung für die Gewalt liege „einzig und ausschließlich bei denen, die für den Bruch mit der Legalität und der Koexistenz geworben haben“. Der Konservative tat das Referendum einmal mehr als eine „Inszenierung“ ab.

Gestern traf sich Rajoy mit dem Chef der Sozialisten, Pedro Sánchez und dem der rechtsliberalen Ciudadanos Albert Rivera. In den kommenden Tagen will er vor dem Parlament Rede und Antwort stehen und alle Parteien hören. Ob die Katalanen nach der polizeilichen Gewalt vom Sonntag überhaupt noch von Rajoy gehört werden wollen, wird sich zeigen müssen.

Margarita Cartagena sitzt an der Theke. Für sie zeigt die Gewalt, dass „die Regierung in Madrid absolut machtlos angesichts der breiten und friedlichen Mobilisierung der Katalanen“ gewesen sei. Die Zukunft? „Mich würde es nicht stören, wenn die katalanische Regierung einseitig die Unabhängigkeit ausruft, aber ob das strategisch geschickt wäre, da habe ich meine Zweifel“, sagt die 64-jährige Rentnerin. Nach einer kurzen Pause sagt sie dann: „Egal was die Regierung macht, meine Unterstützung ist ihr gewiss.“

Draussen auf der Terrasse sitzt Jordi Pujol. „Nicht verwandt mit dem gleichnamigen ehemaligen katalanischen Regierungschef“, distanziert er sich ungefragt von seinem Namensvetter gegen den wegen Korruption ermittelt wird. Der 21-jährige studiert Internationale Beziehungen in Barcelona. „Gestern haben wir Katalanen uns endgültig von Spanien verabschiedet. Es gibt keinen Weg zurück“, ist er sich sicher.

Eine einseitige Erklärung der Unabhängigkeit hält der junger Mann dennoch zum jetzigen Zeitpunkt für strategisch falsch. „Wir haben was den Diskurs angeht gewonnen“, ist sich Pujol sicher und hofft, dass sich die internationale Gemeinschaft des Katalonienproblems annimmt. „Vor allem die Europäische Union ist gefragt. Sie kann nicht mehr länger wegschauen“, sagt er. Es gelte weiter Druck aufzubauen, sagt Pujol. Zur Mittagszeit legten die Menschen in Katalonien fast überall die Arbeit nieder und versammelten sich zu kurzen Protestkundgebungen angesichts der Polizeigewalt am Wahltag. Für Dienstag ist haben die wichtigsten Gewerkschaften gemeinsam zu einem katalonienweiten Generalstreik zur Verteidigung der Demokratie gerufen.

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