© 2017 Reiner Wandler

Basis gewinnt gegen Apparat

So sehen Sieger aus. Am Sonntagabend, kurz vor Mitternacht trat der spanische Sozialist Pedro Sánchez vor seine Anhänger, um die überwältigende Wiederwahl zum Generalsekretär der PSOE zu feiern. „Danke, danke, danke von ganzem Herzen“, rief er seinen Anhängern ausgerechnet in jenem Saal der PSOE-Zentrale in Madrid immer wieder zu, in dem er vergangenen Oktober seine bitterste Niederlage einstecken musste.

Damals hatte ihn am selben Ort der Kleine Parteitag überstimmt. Sánchez vertrat weiterhin sein „Nein heisst Nein“ gegenüber den Konservativen. Das Gremium hingegen erklärte sich bereit, eine Minderheitsregierung der Partido Popular (PP) unter dem alten und neuen spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy zu dulden. Sánchez ging. Ein geschäftsführender Parteivorstand wurde eingesetzt. Jetzt nach einer langen Kampagne kommt der 45-Jährige dank der Basis zurück.

Knapp würde es werden, darüber waren sich alle Beobachter im Vorfeld der Wahl einig. Und sie täuschten sich. 50,2 Prozent der über 148.000 abgegebenen Stimmen galten Sánchez. Die Kandidatin des Apparates und Drahtzieherin bei jener Duldung der PP, die andalusische Landesmutter und dortige Parteivorsitzende Susana Díaz erzielte nur 39,9 Prozent. Der dritte im Bunde, der Baske Patxi López, musste sich mit weniger als zehn Prozent zufrieden geben. Insgesamt waren 187.000 Sozialisten wahlberechtigt.

Die Stimme für Sánchez sind ganz klar eine Rebellion gegen den Apparat. Díaz setzte sich nur in ihrer Heimat Andalusien mit 63,2 Prozent durch. Sánchez erzielte immerhin 31,7 Prozent.

Díaz war mit dem Slogan „100% PSOE“ angetreten. Sie wurde von fast allen regionalen Parteivorsitzenden unterstützt. Die Altvorderen der Sozialisten, wie Felipe González und José Luis Rodríguez Zapatero, die beide Spanien regierten, sowie namhafte Ex-Minister unterstützten sie.

Ein Blick auf Unterschriften, die die Kandidaten sammeln mussten, um antreten zu können, zeigt das ganze Debakel von Díaz. Sie präsentierte statt der erforderlichen 9.000 rund 62.000 Bürgschaften. Jetzt wurde sie nur von 59.000 Mitgliedern gewählt. Selbst in ihrer Hochburg Andalusien unterschrieben mehr Sozialisten als sie anschließend wählten. Die beiden anderen Kandidaten übertrafen an den Urnen bei weitem die Zahl ihrer Bürgen.

Sánchez will jetzt die „Sozialisten wieder einen“. Der im Juni anstehende Parteitag werde „nach vorn schauen“ und nicht alte Fehden austragen, versprach er am Wahlabend. Doch dazu braucht er auch Díaz und ihre mächtigen Unterstützer. Die Verliererin zeigte sich bei ihrem Auftritt vor der Presse wenig versöhnlich. In ihrer Ansprache fiel kein einziges Mal der Name des Gewinners. Sie erklärte ihre Treue und Unterstützung, nicht etwa gegenüber dem alten und neuen Generalsekretär, sondern gegenüber der Partei.

„Der derzeitige Regierungschef fürchtet eine einige PSOE“, erklärte Sánchez am Wahlabend unter Applaus im Saale und auf der Straße, wo hunderte seiner Rede per Lautsprecher folgten. Schon einmal – nach gewonnen Urwahlen 2014 – hatte Sánchez seine Wahl zum Parteichef als „den Anfang vom Ende von Mariano Rajoy“ gepriesen. Und es ging schief. Bei den Parlamentswahlen ein Jahr später und den vorgezogenen Neuwahlen 2016 erzielte Sánchez nur noch die Hälfte der Stimmen, die einst Rodríguez Zapatero in den Regierungspalast gebracht hatten. Die Wähler sind durch Zapateros Sparpolitik von den Sozialisten enttäuscht. Die noch keine vier Jahre alte Podemos liegt nur noch knapp hinter der PSOE.

Sánchez hat mächtige Gegner. Nicht nur Díaz und PSOE-Apparat sind geschockt über das Ergebnis und werden den alten Neuen genau auf die Finger schauen. Die wichtigste Tageszeitung Spaniens, die El País, die der Elite der PSOE um Felipe González, zu der auch Díaz gehört, von jeher nahe steht, bezeichnet den Sieg von Sánchez als „populistischen Moment Spaniens“ und führt einen Vergleich: „Die programmatischen und organisatorischen Vorschläge von Sánchez haben sehr effektiv andere Erfahrungen in unserem Umfeld aufgegriffen, vom Brexit bis hin zum kolumbianischen Referendum oder dem Sieg Trumps, überall dort, wo Emotion und blinde Empörung erfolgreich der Vernunft, den Argumente und den Fakten die Stirn boten.“/Foto: PSOE

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Meine Meinung

Links geht anders

Nach dem Briten Corbyn und dem Franzosen Hamon hat mit Pedro Sánchez auch bei den spanischen Sozialisten (PSOE) ein Außenseiter die Urwahlen gewonnen. Alle drei setzten sich gegen einen übermächtigen Parteiapparat durch. Doch hier enden auch schon die Gemeinsamkeiten.

Sánchez ist – auch wenn weite Teile der Medien ihn so beschreiben – kein linker Politiker. Als der Wirtschaftsprofessor an einer neoliberalen Privatuniversität nach den Wahlen im Dezember 2015 die Möglichkeit hatte, eine Koalitionsregierung mit Podemos einzugehen, schloss er stattdessen ein Bündnis mit den rechtsliberalen Ciudadanos (C’s). Viele der wirtschaftlichen Punkte unterschieden sich nur wenig von dem, was die bis heute regierende konservative Partido Popular (PP) vertritt.

Die gleiche Basis, die jetzt Sánchez zum Hoffnungsträger erkoren hat, stimmte damals in einer Urabstimmung dem Bündnis PSOE-C’s zu. Anders als in Großbritannien und Frankreich hat die eigentliche linke Parteibasis die PSOE längst in Richtung Podemos verlassen.

PSOE-C’s bekam keine Mehrheit im Parlament. Neuwahlen wurden angesetzt. Abermals scheute Sánchez vor mutigen Schritten zurück und unterlag schließlich denen, die seither die Konservativen dulden. Es ist die Geburtsstunde des Rebellen wider Willen, Pedro Sánchez.

Der Linksruck im Diskurs von Sánchez reicht, um eine Urwahl zu gewinnen, doch jetzt wollen seine Unterstützer Taten sehen. Ganz konkret ein Ende der Duldung der Konservativen. Doch das geht nur in Zusammenarbeit mit Podemos. Bisher redete sich Sánchez immer heraus. Podemos wolle nicht mit den Sozialisten. Dabei war es der PSOE-Parteiapparat, der eine solche Koalition von vornherein ausschloss.

Wenn Sánchez abermals das Versprechen nach einem Wechsel nicht einlöst, wird sich die Parteibasis enttäuscht abwenden. Und sollte Sánchez tatsächlich einen Schwenk nach links wagen, hat er weiterhin den Apparat und fast die gesamte veröffentlichte Meinung gegen sich. Die spanischen Sozialisten sind längst nicht aus der Krise heraus.

Was bisher geschah: