© 2016 Reiner Wandler

Der Trümmerhaufen

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Proteste vor der Parteizentrale in Madrid, drinnen auf dem Kleinen Parteitag brüllten sich die 253 Delegierten zwölf Stunden lang an, es flossen Tränen, es fielen Beschimpfungen und Drohungen. Immer wieder wurde die Sitzung unterbrochen. Die Kritiker um die 17 am Mittwoch zurückgetretenen Vorstandsmitglieder und die Anhänger des bisherigen Generalsekretärs der sozialistischen PSOE Pedro Sánchez konnte sich nicht einmal auf eine Tagesordnung einigen. Als die Versammlung dann nach mehr als 10 Stunden doch noch beschloss, über den weiteren zeitlichen Fahrplan für einen Weg aus der Parteikrise abzustimmen, unterlag Sánchez. Der Chef der sozialistischen PSOE nahm daraufhin ganz offiziell den Hut. Ein kommissarischer Vorstand wurde in aller Eile eingesetzt. Dieser soll jetzt die PSOE wieder zusammenbringen und den Schaden begrenzen.

Leicht wird das nicht. Denn nach dem Streit ist vor dem Streit. Sánchez wurde abgesägt, weil er sich geweigert hatte, eine konservative Minderheitsregierung unter Mariano Rajoy per Enthaltung im Parlament zu ermöglichen. Die Kritiker wollen genau dies und müssen das jetzt innerparteilich durchsetzen und dann der Basis und den Wählern vermitteln. „Erst eine Regierung, dann die Probleme der Partei“, erklärte Susana Díaz, Parteichefin im südspanischen Andalusien und Strippenzieherin beim Putsch gegen Sánchez immer wieder.

Sánchez hinterlässt einen Trümmerhaufen. Viele fragen sich, ob es das wert war. Denn der abgesägte Generalsekretär verfolgte keine grundlegend andere Politik als seine Kritiker. Sánchez, neoliberaler Wirtschaftsprofessor an einer rechten Privatuniversität in Madrid, paktierte nach den Wahlen im Dezember mit den rechtsliberalen Ciudadanos (C‘s) und akzeptierte deren Wirtschaftsprogramm weitgehend. Es ist das gleiche Programm, dass sich die konservative Partido Popular (PP) jetzt nach den erneute Wahlen im Juni bei ihrem Pakt mit C‘s zu eigen machte.

Auf die Antiausteritätspartei Podemos, die eine Koalition mit dem Ziel die Sparpolitik zu beenden und die soziale Krise zu bekämpfen angeboten hatte, ging Sánchez im Winter gar nicht erst zu. Nach den Wahlen im Juni verteidigte er sein „Nein heisst Nein“ – keine Unterstützung für Rajoy, ohne eine eigene Alternative aufzuzeigen.

Als Sánchez in den letzten Tagen vor seinem angekündigten Tod plötzlich doch noch von einer Regierung des Wechsels mit Podemos redete, tat er dies, um seine eigene Haut zu retten. Nach weiteren schlechten Wahlergebnissen in Galicien und dem Baskenland hätte nur sein Einzug in den Regierungspalast die Kritiker ausbremsen können, war sich Sánchez sicher. Doch Díaz und ihre Regionalfürsten kamen ihm zuvor. Alleine die theoretische Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung von Podemos war ihnen zu gefährlich. Konservative und rechte Sozialdemokraten eint die Treue zur Sparpolitik und dem Diktat aus Brüssel, Berlin und den Interessen, die sich hinter dem Begriff Märkte verstecken. Spaniens Medien unterstützten den Sturz von Sánchez.

So mancher Kommentator und Analyst sieht die PP jetzt erneut an der Macht. Doch Rajoy geht nach dem Debakel bei den Sozialisten noch einen Schritt weiter. Er will sich nicht mehr nur mit seiner Wahl zum Regierungschef durch die Enthaltung der PSOE – die immer wahrscheinlicher wird – zufrieden geben. Er will jetzt eine aktive Unterstützung für den kommenden Haushalt, in dem weitere 10 bis 15 Milliarden Euro eingespart werden sollen, so die Vorgabe aus Brüssel.

Die PSOE droht sich daran aufzureiben, wie einst die griechische PASOK. Bei Podemos bereiten sie sich auf ein ganz neue Rolle vor. Die Antiausteritätspartei sei jetzt „die einzige Alternative zur PP“, erklärte am Samstag Parteichef Pablo Iglesias.

Was bisher geschah: