© 2016 Reiner Wandler

Endspurt auf dem Weg zum eigenen Staat

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Hunderttausende demonstrierten am gestrigen (11.9.) katalanischen Nationalfeiertag – der Diada – wie bereits in den vergangenen Jahren für die Unabhängigkeit der nordostspanischen Region Katalonien. Gerufen hatten die beiden Bürgerinitiativen Katalanische Nationalversammlung (ANC) und Omnium Cultural zu fünf Kundgebungen. Das Thema waren die Grundsätze der neuen Republik, die, so der Wille derer, die mobilisierten, bereits im kommenden Jahres entstehen soll. In Barcelona hieß das Motto „Freiheit“, in Tarragona „Fortschritt“, in Lleida „territoriale Ausgewogenheit“, in Salt „soziale Gerechtigkeit“ und in Berga „Kultur“. Zeitlich abgestimmt wurde nach und nach an den fünf Orten ein Manifest verlesen und übertragen.

Geht es nach den in Barcelona regierenden Nationalisten rund um den liberal-nationalistischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont und den Linksnationalisten, die seine Regierung unterstützen, wird das was in Katalonien „der Prozess“ heisst, Mitte 2017 abgeschlossen sein. Dies entspricht dem Zeitplan, der im vergangenen September bei den Autonomiewahlen siegreichen „Gemeinsam für das Ja“ (JxS) beschlossen wurde. Zusammen mit der antikapitalistischen, linksseparatistischen Kandidatur der Volkseinheit (CUP) stellen sie die Mehrheit im Parlament und drängen Richtung Unabhängigkeit. In nur 18 Monaten ab dem Amtsantritt der derzeitigen Regierung im vergangenen Herbst soll das neue Katalonien vorbereitet werden. Dann soll neu gewählt, das unabhängige Katalonien per Volksabstimmung beschlossen und dann der Bruch mit Spanien vollzogen werden.

Die in Madrid regierenden Konservativen rund um Regierungschef Mariano Rajoy drohen, prozessieren und sprechen selbst von Aussetzung der Autonomie und Amtsenthebung der Regierung. So steht der ehemalige katalanische Ministerpräsident Artur Mas mit mehreren hohen Mitarbeitern seiner Regierung vor Gericht, weil er vor zwei Jahren eine symbolische Volksabstimmung durchführen ließ. Der derzeitigen Präsidenten des katalanischen Autonomieparlaments Carme Forcadell droht das gleiche Schicksal, weil sie im Parlament eine Resolution verabschieden ließ, die den weg zur Unabhängigkeit vorzeichnet. Doch die katalanischen Nationalisten lassen sich durch nichts aufhalten. „Wenn sie uns ins Gefängnis stecken, wird uns das katalanische Bürgerschaft zivilisiert und friedlich herausholen“, erklärte Joan Tardà – katalanischer Abgeordneter im Madrider Parlament vor Kurzem.

Nach zwei Erklärungen des katalanischen Parlamentes, die den Weg zur Unabhängigkeit beschwören, hat sich die nationalistische Regierung an die „Loslösung“ gemacht. Trotz Verbotes aus Madrid und trotz einer Verurteilung durch das spanische Verfassungsgericht bereitet Katalonien ein eigenes Finanzamt vor, und arbeitet ein katalanischen Sozialversicherungswesen aus. In den kommenden Wochen soll ein Gesetz zum „juristischen Übergang“ folgen. Dort wird dann festgelegt, wie die Verfassung für ein neues Katalonien geschaffen werden sollen. Ein von Richtern, Professoren und Bürgern ausgearbeiteter Entwurf sieht eine Republik mit Präsidentialsystem, ähnlich dem der USA vor. Sprache soll das Katalanische werden, Minderheiten innerhalb Kataloniens, wie der Bevölkerung im Pyrenäental Aran, werden weitgehende Autonomiebefugnisse erteil.

Drei mögliche Wege zur endgültigen Unabhängigkeit werden derzeit diskutiert. Die erste – und völlig unwahrscheinliche – ist die Zulassung einer Volksabstimmung nach schottischem Vorbild über die Unabhängigkeit Kataloniens durch Madrid. Doch das wird wohl kaum geschehen. Rajoys Konservative sind strickt dagegen und auch die Sozialisten wollen von einem solchen Plan nichts wissen. Einzig die neue Antiausteritätspartei Podemos steht dem Selbstbestimmungsrecht der Katalanen und restlichen Minderrheiten in Spanien possitiv gegenüber auch wenn die Partei ankündigt im Falle einer Abstimmung für den Verbleib in Spanien eintreten zu wollen.

Bleiben zwei unilaterale Verfahren. Entweder wählt Katalonien zuerst eine Verfassunggebende Versammlung, um den dort ausgearbeiteten Text dann einem Referendum zu unterziehen. Oder es gibt zuerst ein einseitiges Referendum und dann, sollte die Unabhängigkeit gewinnen, eine Verfassungsgebende Versammlung. Spätestens Ende des Monats wird eine Entscheidung über das weitere Vorgehen fallen. Denn dann stellt sich Regierungschef Puigdemont einem Vertrauensvotum im katalanischen Parlament. Die linke CUP will ihn weiter dulden, aber nur wenn er einen klar abgesteckten Fahrplan zur Unabhängigkeit vorlegt.

Eine einseitig durchgeführte Volksabstimmung stösst auch bei vielen Katalanen auf Skepsis, die sich für das Selbstbestimmungsrecht stark machen. Zwar könnte die Befürworter der Unabhängigkeit – wie bereits bei der symbolischen Abstimmung 2014 – gewinnen, doch die Verfechter der Einheit mit Spanien zu Hause bleiben, da sie ein solches verfahren nicht als legitim ansehen. „Es ist wichtig, dass sich die Abstimmung an alle richtet und alle dahinterstehen“, erklärt die Bürgermeisterin von Barcelona, die Podemos-nahe ehemalige Aktivistin gegen Zwangsräumung schuldiger Wohnungseigner, Ada Colau, die erstmals am Aufmarsch zum Nationalfeiertag teilnahm./Foto: ANC

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