© 2016 Reiner Wandler

Wenn die Sicherung durchbrennt

psoe

Die spanischen Sozialisten werden zum Symbol des Dilemmas der europäischen Sozialdemokratie. Bei jeder Wahl schneidet Spaniens sozialistische Partei (PSOE) noch schlechter ab, während die junge Antiausteritätspartei Podemos (Wir können) zulegt. Im vergangenen Dezember erzielte die gerade einmal zwei Jahre alte Formation rund um den Politikprofessor Pablo Iglesias 5 Millionen Stimmen und lag damit nur noch 300.000 hinter den Sozialisten. Jetzt wird nach gescheiterten Verhandlungen zur Regierungsbildung am 26. Juni erneut gewählt. Und alles sieht danach aus, als würde sich die Tendenz einmal mehr bestätigen.

Podemos hat sich mit der Vereinigten Linken zum Wahlbündnis Unidos Podemos (Gemeinsam können wir) zusammengeschlossen. Die Umfragen sehen die Formation auf Platz 2, deutlich vor den Sozialisten und nur noch wenige Punkte hinter der konservativen Partido Popular (PP) des noch amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Der Wahlkampf kennt nur noch zwei Parteien. Unidos Podemos schießt sich ausschließlich auf die PP ein; Rajoy greift den Fehdehandschuh auf. Die Sozialisten bleiben aussen vor. Es gelingt ihnen nicht, sich zurück ins Zentrum der Debatte zu kämpfen.

Dabei hätte der Spitzenkandidat der PSOE, Pedro Sánchez, regieren können. Iglesias bot ihm nach den Wahlen vom 20. Dezember eine „Koalition des Fortschritts“ an. Sánchez schlug aus. Zu stark war der Druck aus der Wirtschaft und von Seiten der Regionalfürsten der PSOE, die um jeden Preis verhindern wollen, dass Podemos an die Regierung kommt.

Längst hat die PSOE – wie die SPD in Deutschland, die PSF in Frankreich, die Pasok in Griechenland, um nur einige zu nennen – den Weg der fortschrittlichen Politik verlassen. Stattdessen haben sie sich der „alternativlosen“ Sparpolitik aus Berlin und Brüssel völlig gebeugt. Wirkliche Unterschiede zur konservativen Politik sind bei wirtschaftlichen Themen nicht mehr auszumachen. Die Große Koalition in Europa ist nicht erst seit dieser Legislatur Realität; um von Berlin ganz zu schweigen.

In vielen Ländern nutzen die Rechten die Lücke. Ob AfD, Le Pen, UKIP, die rechtsradikalen in den Niederlanden oder in Skandinavien sie fischen alle erfolgreich bei denen, die sich völlig vernachlässigt fühlen. In Spanien ist es mit Podemos zum Glück eine Linke Option, die die Empörten an sich binden kann. Podemos eint, was sich nie einen ließ. Nichtwähler, Aktivisten, Empörte und die vielen regionalen linken Kräfte. Hinzu kommen Millionen ehemaliger PSOE-Wähler und selbst von den Konservativen wechselten welche zu Podemos.

„Neue Sozialdemokratie“ nennen Iglesias und die Seinen ihr Projekt nicht von Ungefähr. Ein Blick auf das Programm zeigt, dass es tatsächlich nicht – wie immer wieder behauptet – um linksradikale Ideologie und unerfüllbare Utopien geht. Iglesias verspricht Massnahmen, wie sie in den 1970ern jeder europäische Sozialdemokrat unterschreiben hätte. Ja mehr noch, so manchem Sozialdemokraten alter Schule wären das Programm wohl zu wenige ambitioniert gewesen: Höhere Mindestlöhne, Rücknahme der Einsparungen im öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssystem, Mindesteinkommen für alle … und vor allem die Streichung der Schuldenbremse, die von Sozialisten und Konservative 2011 Mitten in der Sommerpause über Nacht in die Verfassung geschrieben wurde sowie mehr Zeit beim Abbau des Defizits. „Rettung der Menschen statt der Banken“, lautet das Motto.

Eine Sozialdemokratie die solche Programmpunkte nicht mehr umsetzen will, hat sich längst zur letzten Sicherung im Kasten des derzeitigen europäischen Systems entwickelt. Hollande akzeptiert diese Rolle und bleut seinen Franzosen die „alternativlosen“, neoliberalen Reformen mit dem Knüppel ein. Die deutschen Genossen haben ähnliche Reformen umgesetzt; mit „Erfolg“ – wenn man die tatsächlichen Statistiken über Armut und Einkommensverteilung übersieht. In Griechenland verschaffte die Pasok der Troika eine paar Jahre mehr für ihren Kahlschlag.

Doch wenn Sicherungen zu stark beansprucht werden, brennen sie durch, wie das Beispiel Pasok zeigt. Die griechischen Sozialdemokraten sind fast völlig von der Bildfläche verschwunden und haben Syriza den Platz geräumt. Die deutsche SPD hat längst die Rolle des ewigen Juniorpartners der CDU akzeptiert. Sigmar Gabriel und Genossen werden auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein eine Regierung zu führen. Und in Frankreich tut Hollande alles, um auch noch das letzte bisschen Sympathie zu verspielen.

Unidos Podemos will bei den Wahlen im Juni „das Patt auflösen“. Die Sozialisten hätten es dann in der Hand, ob sie eine fortschrittliche Regierung – vermutlich als Juniorpartner – unterstützen, oder eine Große Koalition mit den Konservativen, mit oder ohne Beteiligung der Rechtsliberalen. Alles deutet darauf hin, dass sich die PSOE für Zweiteres entscheiden könnten.

Es ist ein gefährliches Spiel. Denn eine große Koalition ist in Spanien für die Wähler anders als in Mittel- und Nordeuropa nur schwer zu akzeptieren. Zu stark wurden bisher die vermeintlichen ideologischen Differenzen zwischen Konservativen und Sozialisten zelebriert. Diese Spaltung der Gesellschaft garantierte eine weitgehend stabile Wählerschaft. So zumindest bis zum Beginn der Krise. Erst die Sparpolitik, für die beide Parteien in unterschiedlichen Legislaturen verantwortlich zeichnen, sowie die in die Tausende gehende Korruptionsfälle brachten das eingespielte Zweiparteiensystem ins Wanken.

Die PSOE hat die Wahl. Sie kann Teil der Lösung sein oder weiterhin Teil des Problems. Eine Große Koalition kann einen tiefgreifenden Wandel in Spanien und damit wohl auch in Europa nur noch hinauszögern. Verhindern lässt er sch nicht mehr. Eine solche Koalition würde eine unnötige Verlängerung der Sparpolitik bedeuten, die die Verarmung breiter Teile der südeuropäischen Bevölkerung zur Folge hat. Und es wäre der Selbstmord der spanischen Sozialisten.

Was bisher geschah: