„Das Wahlprogramm, das in der spanischen Geschichte am meisten gelesen werden wird“, habe Sie in der Hand, erklärte Programmchefin der jungen Antiausteritätspartei Podemos (Wir können) Carolina Bescansa der erstaunten Presse am vergangenen Mittwoch. Als sie das Heft vorlegte, war schnell klar, dass sie recht behalten würde. Das Programm für die vorgezogenen Parlamentswahlen am 26. Juni ist alles andere als eine öde Broschüre, das Punkt für Punkt Forderungen und Versprechungen aufzählt. Es hat das Format und das Design des alljährlichen Kataloges des schwedischen Möbelhauses Ikea. Auf dem Titelblatt prangt ein Foto eines hübsch eingerichteten Kaminzimmers. Auf dem Boden liegt Spielzeug. „Schließ dich dem kommenden Land an“, heisst es unter dem violetten Schriftzug von Podemos.
Im Innern ist das Heft aufgeteilt wie der Möbelkatalog, der Vorbild stand. Der ehemalige Generalstabschef der spanischen Armee Julio Rodríguez, der sich überraschend im vergangenen Herbst Podemos anschloss, ist unter „Küchen“ zu sehen, wie er abspült. Der Parteisekretär für soziale Bewegungen, Rafa Mayoral, hängt Wäsche auf. Spitzenkandidat Pablo Iglesias ziert die Abteilung „Büros“, Programmchefin Bescansa, die im Dezember mit ihrem Säugling im Parlament für Aufsehen sorgte, „Kinderzimmer“. Und Politiksekretär und Chefideologe Inigo Errejón ist unter „Beleuchtung“ zu finden. Wo normalerweise die einzelnen Möbel angekündigt werden, sind Programmpunkte zu lesen.
„Wir wollten damit Schluss machen, dass niemand die Programme ließt“, erklärt Bescansa. Es sei das zweite Mal, dass der Text Geschichte schreibe, sagt sie zufrieden. Denn anders als bei den übrigen Parteien wurde das Programm von der Basis und von sozialen Bewegungen mitgestaltet. Die endgültige Version kam durch eine Abstimmung an der sich über 15.000 Menschen online beteiligten, zustande.
Kaum vorgestellt erfreut sich das Programm tatsächlich großer Beliebtheit. Auf Twitter wurde es umgehend zum Trendingtopic, in Facebook quellen die Kommentarspalte über, die Seite auf der das pdf heruntergeladen werden kann, brach vorübergehend zusammen, die Papierausgabe, die es für 1,80 Euro zu bestellen gibt, was in wenigen Stunden ausverkauft. Jetzt wird nachgedruckt. Keine spanische Zeitung, egal ob print oder online ließ den Marketingschlager unerwähnt.
Podemos erkläre „die Unabhängige Republik“ war da in Anlehnung an einen Werbeslogan der Schweden zu lesen. Pedro Sánchez, der Spitzenkandidat der Sozialisten, die allen Umfragen zu folge fürchten müssen, von Podemos bei den nächsten Wahlen vom zweiten auf den dritten Platz in der Wählergunst verdrängt zu werden, erklärt: „Die Sozialdemokratie wird nicht per Katalog verkauft.“ Er nimmt damit Bezug auf die Aussage Iglesias, Podemos sei die „neue Sozialdemokratie“, die Prinzipien verteidigt, die die alten Sozialisten aufgegeben hätten.
Natürlich ließ auch Unmut und Spott nicht auf sich warten. So mancher Linke sieht in der Martketingoperation ein Ausverkauf fester Überzeugungen. „Ikea ist ein multinationales Unternehmen, das die Arbeiter ausbeutet. Ich werde nochmal über meine Stimme nachdenken“, heisst es auf Facebook. „Mein Gott, wenn der Katalog von Podemos gewinnt, wird sie uns zwingen, das Regal Shgskönberg zusammenzuschrauben“ heißt eine Kurznachricht des in Spanien für seinen sarkastischen Humor bekannten Twitteraktivisten gerardo tecé.
Andere verbreiteten einen der üblichen Handzettel mit Aufbauhinweisen. Ein verzweifeltes Männchen mit Werkzeug vor einem Bretterhaufen ist durchgestrichen, zwei andere bauen gemeinsam fröhlich an einen Möbelstück. „Unidos Podemos“ – „Gemeinsam können wir“ heißt es. Es ist der Namen der Kandidatur für den 26. Juni an der neben Podemos weiterer linke Parteien und Gruppierungen beteiligt sind. Wieder andere versuchen sich an geschichtlichen Deutungen. „Wie bei IKEA verkauften sie die Demokratie in Einzelteilen mit Gebrauchsanweisung. Ich glaube jetzt ist es an der Zeit die Teile zusammenzusetzen. Es wird nicht leicht“, schreibt jemand auf Facebook. Selbst das Möbelhaus Ikea meldete sich zu Wort: „Wir haben damit nichts zu tun.“