© 2016 Reiner Wandler

Stierkampf als Lehrberuf

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„Spain is different“ – „Spanien ist anders“ – lautete einst der Werbeslogan der iberischen Tourismusindustrie. Die Franco-Diktatur ließ ihn sich in den 1960er Jahren einfallen, um ausländische Touristen ins Land zu locken – und vermarktete sich mit Fiesta, Flamenco und Stierkampf.

Letzterer sorgt jetzt wieder für Schlagzeilen und Kopfschütteln bei denen, die den Stierkampf als überflüssige Folklore oder Tierquälerei verstehen oder beides. Der Grund: Die Konservativen unter dem amtierenden Regierungschef Mariano Rajoy wollen die Ausbildung zum Stierkämpfer in die staatliche Berufsbildung aufnehmen. Der Stierkampf steht damit künftig auf einer Ebene mit einer Gärtner-, Schreiner- oder Töpferausbildung.

„Der Stierkampf ist ein künstlerischer Ausdruck, frei von Ideologie, der einen Teil der traditionellen, volkstümlichen Kultur darstellt“, steht in dem Entwurf für den Lehrplan. Weiter heißt es: „Die Zukunft des Stierkampfes ist eng mit seiner Einstufung als essentieller Bestandteil des geschichtlichen, künstlerischen, kulturellen und ethnischgrafischen Erbes Spaniens verbunden.“

Wer künftig die zweijährige Berufsausbildung „Kunst des Stierkampfes und Hilfskraft in Zuchtbetrieben“ antritt, kann verschiedene Abschlüsse machen. Wer Matador wird, darf das Tier töten, als Bandillero steht einem zu, Spieße mit bunten Fähnchen in den Rücken des Stiers zu rammen. Als Picador malträtiert man das Tier vom Pferd aus mit einer Lanze. Jeder Abschluss qualifiziert den Stierkämpfer auch dazu, in der Zucht von Kampfstieren zu arbeiten.

Die Stierkampflehrlinge sollen aber nicht nur – rein praktisch – im Kampf mit wilden Stieren die verschiedenen Figuren und Bewegungen üben. Sie bekommen auch Unterricht in der Geschichte des Stierkampfs und wie sie die prunkvolle Tracht, Tuch und Degen pflegen. Wie Azubis anderer Berufe auch müssen sie allgemeine Fächer wie Sprache, Literatur, Englisch und Mathematik besuchen. Die Ausbildung richtet sich nach dem Ausbildungsplan an Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren ohne Hauptschulabschluss. Er geht auf einen Vorschlag der Stierkampflobby zurück.

Die Stierkampfschulen überall in Spanien sind begeistert, denn das neue Berufsbild würde ihnen den Weg zu öffentlichen Geldern öffnen. Doch das Vorhaben stößt auch auf Widerstand. In nur wenigen Tagen unterzeichneten 430.000 Menschen eine Internetpetition gegen die Pläne der Konservativen. „Der Berufsbildungsplan hält eine Tradition aufrecht, die im Verfall begriffen ist“, heißt es in der Erklärung. Indem man 15-Jährigen beibringt, Tiere zu foltern, würde der von der heutigen Generation weitgehend abgelehnte Stierkampf künstlich erneuert.

Auch bei Eltern-, Schüler- und Lehrerverbänden stößt der neue Ausbildungsberuf auf wenig Gegenliebe. „Spanien hat eine Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent“, echauffiert sich Isabel Galvín. Wer da den Stierkampf in die Berufsbildung aufnehmen will, kritisiert die Generalsekretärin der Lehrergewerkschaft im Dachverband CCOO im Land Madrid, zeige, was er für ein Bild von der spanischen Wirtschaft hat: Sonne, Tourismus, Fiesta. „Dieser Vorschlag ist eine Beleidigung aller Spanier.“

Die Unterstützung für die Stierkampflobby ärgert Galvín auch deshalb, weil die Regierung an anderen Stellen bei der Bildung massiv spart. „Die Bildungsreform der Konservativen hat Einschnitte bei Philosophie, Musik und Sport vorgenommen und den Religionsunterricht ausgeweitet“, schimpft die Gewerkschafterin. „Und jetzt das mit dem Stierkampf.“

Die Bildungsreform brachte den Großteil der Eltern, Schüler und Lehrer auf die Barrikaden. Zweimal wurden alle Schulen im Land bestreikt. Mehrere autonome Regionen – vergleichbar mit den deutschen Bundesländern – weigern sich, das „Gesetz zur Verbesserung der Bildungsqualität“ (LOMCE) umzusetzen. Die Reform wurde ohne jeglichen Dialog von der spanischen Regierung verabschiedet.

Was die meisten Proteste auslöste: Religion wurde zum vollwertigen Schulfach erhoben. Künftig zählt das Fach so viel wie die Hauptfächer Sprache und Literatur, Englisch oder Mathematik. Wer nicht den Religionsunterricht besucht, hat stattdessen Ethik. Den Religionslehrern, die keine Beamten, sondern Kirchenmänner sind, wird nachgesagt, dass sie nicht nach Wissen, sondern nach Gläubigkeit benoten. In Madrid belegen seit der Reform 1,5-mal so viele Oberstufenschüler Religion wie zuvor. Die SchülerInnen hoffen auf leicht verdiente gute Noten.

„Künftig werden wir junge Menschen ausbilden, die keine Ahnung von Rousseau haben, aber alles über das Mysterium der Heiligen Dreifaltigkeit wissen“, beschwert sich Gewerkschafterin Galvín. Sie ist sich sicher, dass sowohl diese Bildungsreform als auch der Lehrplan Stierkampf nur ein Ziel haben: Die Konservativen wollen ihr Konzept von Spanien durchsetzen: als religiöses und kulturbewusstes Land.

Für diese Lesart gibt es noch mehr Anzeichen. Im vergangenen Jahr hat die Regierung Rajoy den Stierkampf zum „nationalen Kulturerbe“ erhoben. Er genießt nun besonderen Schutz. Die Idee, die Stierkampfausbildung zu verstaatlichen, ist eine weitere Maßnahme, um die zunehmende Ablehnung des Spektakels einzudämmen. Die älteste Tageszeitung des Landes, die konservativ-monarchistische ABC ist sich dessen bewusst und schreibt euphorisch: „Diese gute Nachricht für die Branche, kommt in einem Augenblick, in dem sie zahlreichen Angriffen der Stierkampfgegner und der Politik (…) ausgesetzt ist.“

Tatsächlich finden die Forderungen von Tierschützern und anderen Stierkampfgegnern in der Politik zunehmend Gehör. Die katalanische Autonomieregierung schloss bereits vor einigen Jahren, sämtliche Arenen in ihrer Region, die rund um Barcelona im Nordosten des Landes liegt. Und auf Druck der spanischen Grünen stimmte das EU-Parlament Ende vergangenen Jahres gegen weitere Zuschüsse für Stierzucht aus der europäischen Landwirtschaftshilfe.

Für die Branche geht es seit Längerem bergab. Vor der Krise 2006 wurden in 5.000 Dörfern und Städten Spaniens 17.000 Stierspektakel – von Corridas bis zum Stiertreiben durch die Straßen – abgehalten. 45 Millionen Menschen kauften eine Eintrittskarte, um der „fiesta nacional“ beizuwohnen, wie Stierkampfanhänger in Spanien sagen. Mehr als 15.000 Stiere wurden dabei getötet. Laut Stierkampfverbänden setzte die Branche in dem Jahr 1,5 Milliarden Euro um und beschäftigte 200.000 Menschen.

Traditionellerweise feiern die spanischen Gemeinden das jährliche Fest zu Ehren des Dorfpatrons auch mit Stierkämpfen. Vielfach wurde das Spektakel jedoch seit Beginn der Krise aus dem Programm gestrichen. Auch werden zunehmend kommunale Zuschüsse für Stierkampfschulen gekürzt, seitdem in mehreren Großstädten Bürgerlisten unter Beteiligung der jungen Antiausteritätspartei Podemos regieren.

Das bekannteste Beispiel ist Madrid. Bürgermeisterin Manuela Carmena von Ahora Madrid (Jetzt Madrid) will nicht einsehen, warum die durch die Politik der konservativen Vorgängerin Ana Botella – der Frau des Expremiers José María Aznar – hochverschuldete Hauptstadt weiterhin die Stierkampfschule fördern soll, wo doch das Geld dringender im Sozialbereich gebraucht wird. Künftig muss die Toreroschule der Stadt, aus der einige der bekanntesten Stierkämpfer des Landes hervorgegangen sind, ohne den jährlichen Zuschuss von 61.200 Euro auskommen.

Auch hier naht Rettung von den Konservativen. Die Ministerpräsidentin des Landes Madrid, Cristina Cifuentes von Rajoys Partido Popular (PP), wird die Schule künftig finanziell unterstützen. Der Bürgermeisterin Carmena wirft sie vor, „einen Konflikt zu schüren, wo es keinen gab“, und „den politischen und gesellschaftlichen Konsens“ zu brechen. Die Stierkampfschule habe „eine wichtige soziale Rolle“. Ihre Landesregierung will den Berufsbildungsplan Stierkampf umsetzen, sobald er von der spanischen Regierung beschlossen wird.

„Der Stierkampf ist ein wichtiger Teil unserer Identität und unserer Kultur“, stellt Cifuentes klar. Für Stierkampfgegner bestätigen solche Äußerungen nur ihren Verdacht: Auch bei der Bildungspolitik gehe es vor allem um die Verbreitung konservativer Werte.

 

 

Was bisher geschah: