© 2015 Reiner Wandler

Die Dschihadgeneration

coverDie Zahlen erschrecken. Alleine aus Europa haben sich bereits 7.000 meist junge Menschen dem Islamischen Staat (IS) der mittlerweile in Syrien und dem Irak ein Gebiet in der Größe von Großbritannien kontrolliert, angeschlossen. Hinzu kommen unzählige Sympathisanten, die in ihren Heimatländern geblieben sind, dort vom „Heiligen Krieg“ träumen und – so zeigen die Anschläge der letzten Jahre – auch zu Hause im Alleingang aktiv werden können.

Mit ihrem Buch „Die Dschihadgeneration“ versucht die Wiener Nah-Ost-Expertin und freie Reporterin Petra Ramsauer, die seit Jahrzehnten die Region bereist, ihren Teil zum Verständnis dessen beizutragen, was den IS ausmacht, warum er trotzt der ungeheuerlichen Grausamkeit – oder gerade wegen ihr – so viele Menschen fasziniert.

Ramsauer will dabei auf keinen Fall Gefahr laufen, „der Gruppe ein Forum zu bieten“. „Deshalb wird man hier vergebens nach unreflektiert übernommenen Schilderungen von ‚Gotteskriegern‘ und „Dschihadisten-Bräuten‘ suchen und ich werde auch das Material von ausführlichen journalistischen Berichten, die in Kooperation mit dem IS entstanden, nicht als Quelle verwenden“, schreibt die Autorin. Ramsauer untersucht vielmehr die Lebensläufe derer, die nach Syrien gezogen sind. Sie untersucht die Lebensläufe junger Menschen, die dort ihr Leben ließen, und spricht mit solchen, die zurückkamen und in ihrem Land vor Gericht standen.

Außerdem unterhielt sie direkte Kontakte sowohl nach Syrien als auch in den Irak. Es sind Menschen, die sie von ihren Reportagereisen kennt, oder solche, zu denen sie per Netz Kontakte aufbauen konnte, sowohl innerhalb- als auch ausserhalb des Gebietes des IS. Außerdem interviewte sie zahlreiche internationale Experten, sucht unabhängige Berichte aus den betroffenen Gebieten und spricht mit denen, die monatelang vom IS gefangen gehalten wurden und dennoch mit dem Leben davon kamen, wie der spanische Journalist Javier Espinosa.

Ausführlich geht das Buch auf die Geschichte des IS ein; beschreibt die Unterschiede zu älteren Terrornetzwerken wie Al-Qaida. Das ganze bettet die Autorin gut informiert in die internationalen Interessenskonflikte ein, die das Erstarken des IS überhaupt erst möglich machten. Dabei entstand ein Buch, das einen gelungen Versuch darstellt, dem Phänomen des IS und seiner Anziehungskraft auf Tausende von meist jungen Menschen weltweit fasziniert und anzieht, ein gutes Stück weit auf den Grund zu gehen.

Der „Pop-Dschihadismus“, wie Ramsauer den vom IS vor allem online aufgebauten Mythos des globalen Widerstandes gegen die Strukturen und Lebensart der „Ungläubigen“ nennt, ziehe vor allem „gestrandete Existenzen“ an, die „meinen dort ihr Glück zu finden“. „Der Punk des 21. Jahrhunderts trägt Niqab“, lässt Ramsauer den Extremismusexperten Olivier Roy zu Wort kommen.

Als „Gestrandeten“ bezeichnet Ramsauer nicht nur diejenigen, die aus armen, marginalisierten Verhältnissen stammen. Sie untersucht auch Fälle aus der wohlhabenden Mittelschicht und Konvertiten, die der Mehrheitsgesellschaft den Rücken kehren, um sich den Dschihadisten anschließen. Ausführlich beschreibt das Buch das ausgeklügelte System der online-Kommunikation, die zum einen mit ihrer Brutalität eine ungeheure Macht vermittelt und zum anderen mit Beichten über vermeintliche soziale Errungenschaften ein paradiesisches Leben im IS verspricht.

Ramsauer untersucht am Beispiele Österreichs und Deutschlands die Rekrutierungsmethoden des IS in Europas Städten. Wie sie gezielt Vertrauen aufbauen, Geborgenheit vermitteln und ein Denken propagieren, das nur schwarz und weiß, gut und böse, halal und haram kennt.

„Der IS ist schon lange mehr als eine weitere Terrorgruppe. Es ist ein Staat, eine Ideologie und zu einem beträchtlichen Teil eine Protestbewegung von Jugendlichen. Er hat ein Paralleluniversum aufgebaut“, lautet das Ergebnis der lesenswerten, gut geschrieben Untersuchung von Petra Ramsauer.

Die Dschihadgeneration
Petra Ramsauer
ISBN 978-3-222-13516-3
StyriaBooks.at Wien 

208 Seiten

24,90 Euro

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