© 2015 Reiner Wandler

Die neuen alten Bürger

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Gepflegtes, kurzes Haar, ein permanentes, sympathisches Lächeln, teure Markenanzüge, Schuhe und Hemden, meist ohne Krawatte, den oberste Knopf offen … die Rede ist nicht von einem Schauspieler sondern von Albert Rivera, dem Vorsitzende der spanischen Partei Ciudadanos (Bürger). Der 35-jährige Anwalt redet ruhig, verurteilt die Korruption, verspricht eine Erneuerung und das Ende des Zweiparteiensystems, ein „Projekt für die Mehrheit“ und „den besonnen Wandel“.

Der junge Mann mit dem Look des idealen Schwiegersohns kommt bei all denen an, die von Spaniens Politik enttäuscht sind, sich aber von der neuen Protestpartei Podemos (Wir können) von Politikprofessor Pablo Iglesias (36) nicht angezogen fühlen, da sie ihnen zu links, zu radikal ist. Rivera weiss das: „Podemos ist Rache, Ciudadanos Gerechtigkeit!“ lautet sein Lieblingssatz. Dabei gäbe es Ciudadanos in dieser Form ohne Podemos gar nicht.

Es war der Direktor der einflussreichen katalanischen Bank Sabadell, Josep Oliu, der als erster auf einem Wirtschaftsforum vergangenen Juni zum Ausdruck, was viele spanische Großunternehmer bewegte, als die Partei von Pablo Iglesias überraschend bei den Europawahlen acht Prozent geholt hatte: „Podemos erschreckt uns ein bisschen, aber eine rechte Podemos, die das Private und die Entwicklung des Landes im Blick hat, wäre nicht schlecht.“ Die beiden großen Parteien – die regierende Volkspartei PP und die sozialistische PSOE – seien längst nicht mehr „der Ausdruck dessen, was die Unternehmer brauchen“, fügte er hinzu.

Zeitungen, Funk- und Fernsehen griffen die Idee auf. Die Stunde für Rivera und seine bereits vor neun Jahren als Anti-Unabhängigkeitspartei in Katalonien gegründete Ciudadanos war gekommen. Allen voran öffnete die größte Tageszeitung des Landes, El País, dem Anwalt aus Barcelona ihre Seiten. Rivera wurde als der neue, dynamische und unbelastete Politiker dargestellt. In eigenen, eiligst erstellten Umfragen lag Ciudadanos Woche für Woche bei El País weit über den Werten des offiziellen Meinungsforschungsinstitutes CIS. Mit diesen Zahlen in der Hand wurde Ciudadanos zum etwaigen Mehrheitsbeschaffer für künftige Regierungen hochstilisiert.

Anders als Podemos, bei der jeder noch so kleine Fehler für negativen Schlagzeilen sorgt, bleibt Ciudadanos völlig von Kritik verschont. Dabei gäbe es durchaus dunkle Punkte auf den Markenanzügen Riveras. So lehnt er die Gesundheitsversorgung für Einwanderer ohne Papiere strickt ab. Aus dem engsten Vertrautenkreis werden Stimmen gegen das Recht auf Abtreibung laut.

Auch unbelastet ist die Partei nicht: Gegen einen Abgeordneten wird wegen Steuerhinterziehung im großen Stil ermittelt. Er trat zurück und wurde kurz darauf zum Berater im EU-Parlament. Ein anderer Abgeordneter unterhält Konten in der Schweiz, um ebenfalls Gelder vor dem Fiskus zu verstecken.

Die Medienkampagne, die mehr an Marketing als an politische Berichterstattung erinnert, zeigt Erfolg. Ciudadanos wurden über Nacht für viele enttäuschte Wähler auf der rechten Mitte zum Inbegriff des Neuen. Die Partei liegt bei Umfragen mit 17 Prozent auf Platz vier hinter PP, Podemos und PSOE, die alle drei mit um die 20 Prozent gehandelt werden.

Zuletzt durfte Rivera gar auf der Meinungsseite der El País ein Manifest mit dem Titel „Ciudadanos, ein Projekt für Spanien“ veröffentlichen. Rivera gibt sich als „die fortschrittliche Mitte“, verweist auf vermeintlichen Sachverstand dank eines hohen Anteils an akademischen Parteimitgliedern und Sympathisanten.

So stammt das Wirtschaftsprogramm aus der Feder eines Professors der London School for Economics. Rivera verspricht Aufschwung dank Forschung und Investitionen in neue Technologie. Steueranreizen für Unternehmen stehen einer Anhebung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel, Wasser und öffentliche Verkehrsmittel gegenüber. Wird Rivera nach dem Gesundheits- und Bildungswesen gefragt, spricht er sich nicht gegen die Privatisierung aus, sondern redet von Verwaltung durch die öffentliche Hand. Genau damit hat die PP breite Teile der Gesundheitsversorgung als öffentliche Aufträge an private Unternehmen vergeben.

In nur wenigen Monaten baute Rivera seine Partei in ganz Spanien auf. Nicht nur Überläufer der beiden großen Parteien, die um ihren Sitz fürchten, sind unter den Kandidaten für die Kommunal- und Regionalwahlen am 24. Mai. In mehreren Fällen wurden vom Parteivorstand Listen aufgelöst, da sich Rechtsradikale eingeschlichen haben.

Dabei war Rivera nicht immer so zimperlich, wenn es um Mitstreiter ging. 2009 trat Ciudadanos bei den Europawahlen im Bündnis mit einer rechten, ultrakatholischen Formation an. Seit jenem ersten Wahlplakat auf dem er 2006 nackt zu sehen war, um als Neuling Aufmerksamkeit zu erregen, hat Rivera alles probiert, um über Katalonien hinaus Erfolg zu haben. Jetzt scheint er mit Hilfe seiner einflussreichen Unterstützer die Formel gefunden zu haben./Foto: Carlos Delgado – Licensed under CC BY-SA 4.0

 

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