© 2015 Reiner Wandler

Wollen und können

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Die Generalprobe für Spaniens neue Partei Podemos (Wir können) steht bevor. Am 24. Mai finden spanienweit Regional- und Kommunalwahlen statt. Erstmals muss die Anti-Austeritätsbewegung, die vor einem Jahr bei den Europawahlen mit acht Prozent für Überraschung sorgte, zeigen, wie stark sie nun wirklich ist. Im Herbst dann stehen die entscheidenden Wahlen für das spanische Parlament an. Podemos will gewinnen. „Es ist jetzt. Wir können“ heisst der Wahlkampfslogan, der Zuversicht ausstrahlen soll. Doch ob Spanien tatsächlich vor einem tiefgreifenden Wandel steht, wie die Partei um den 36-jährigen Politikprofessor Pablo Iglesias hofft – viel, wenn nicht alles, hängt vom Ergebnis Ende des Monats ab.

Seit den Europawahlen hat sich das politische Panorama in Spanien grundlegend geändert. Seit Jahresbeginn versucht mit den vor neun Jahren im nordostspanischen Katalonien entstandenen Ciudadanos (Bürger) eine weitere Partei ebenfalls im Wasser der Enttäuschten zu fischen, und das zumindest laut Umfragen mit zunehmendem Erfolg. Lag Podemos bis Jahresbeginn auf Platz 1 oder auf Platz 2 sehen die Meinungsforschungsinstitute die Partei von Pablo Iglesias mittlerweile auf Platz 3 oder Platz 4.

Jüngste Umfragen gehen von vier fast gleich starken Blöcken aus. Sollten sich dies als richtig erweisen, könnten wenige Stimmen darüber entscheiden, wer als Sieger und wer auf Platz 4 und damit ohne Medaille aus dem Rennen geht. Und schlimmer noch: Ciudadanos könnte in einer Koalition dafür sorgen, dass die konservative Volkspartei (PP) weiter regieren. Das Zweiparteiensystem und steckt zwar nach wie vor in der Krise, doch noch sind (PP) und die sozialistische PSOE stark genug, um auf die Bedrohung zu reagieren.

Die Medien machen mobil. Podemos ist Angriffen ausgesetzt, wie sie bisher keine Partei in Spanien erleben musste. In einer breit angelegten Kampagne, an der sich alle großen Tageszeitungen Spanien und alle TV-Sender beteiligen, werden seit Ende Januar, als Podemos Hunderttausende in Madrid auf die Straßen mobilisierte, nur noch negative Nachrichten über Iglesias und seine Partei verbreitet. In den Lebensläufen der Parteigründer wird nach dunklen Punkten gesucht. Gut bezahlte Berateraufträge aus lateinamerikanischen Ländern wie Bolivien und Venezuela werden als Arbeiten im Dienste undemokratischer Regime gebrandmarkt; dass ein Vorstandsmitglied einen Forschungsauftrag einer südspanischen Universität in Madrid am Computer erledigt, als Vertragsbruch und Korruption. „Schaut her, die sind genauso unglaubwürdig wie wir, genauso besudelt“, heisst die Nachricht der beiden großen, in unzählige Korruptionsskandale verstrickten Parteien an die Wähler.

Gleichzeitig wird Ciudadanos, der enge Kontakte zu den wichtigen spanischen Aktienunternehmen des IBEX 35 nachgesagt werden, von der Presse tag-täglich als „der ruhige, überlegte Wandel“ gepriesen. Alle Ungereimtheiten, wie Steuerhinterziehungen von führenden Parteimitglieder mittels schweizer Konten werden ebenso totgeschwiegen, wie Kontakte zu Rechtsradikalen. Ciudadanos wird bei den Umfragen gezielt gepuscht. Alternative Medien gibt es wenige, und wirklich unabhängige Umfragen so gut wie keine. Denn in Spanien ist die Presse in Händen so weniger, wie sonst nur selten in Europa. Und diese Wenigen sind – dank hoher Schulden – fest in den Händen der Banken.

In diesem neuen politischen Panorama droht Podemos das zu verlieren, was Pablo Iglesias als „den zentralen Platz auf dem Spielbrett“ bezeichnet. Zentralität heisst dabei nicht, sich in der politischen Mitte anzusiedeln, sondern die politischen Themen zu bestimmen und mit eigenen Vorschlägen zu belegen. Wir von unten gegen die Eliten da oben, das einfache Volk gegen die „Kaste“ – das Geflecht aus Zweiparteiensystem und Wirtschaft – heisst bisher das Motto. Podemos setzt die Theorie des argentinischen Professors Ernesto Laclau um. Der Postmarxist geht davon aus, dass für eine politische Veränderung die Bündelung unterschiedlichster Forderungen und Interessen gegen einen gemeinsamen Gegner notwendig ist. Spaniens Empörten gelang dies ebenso wie der Occupy-Bewegung mit ihrer Parole der „99%“. Podemos versucht dies parteipolitisch weiterzuentwickeln.

Und es funktionierte: Bei den Europawahlen gaben nicht nur enttäuschte Sozialisten und ehemalige WählerInnen der postkommunistischen Vereinigten Linken der Anti-Austeritätspartei ihre Stimmen. Es waren auch Menschen, die 2011 zur absoluten Mehrheit des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy beigetragen hatten. Seine Sparpolitik hat das Land in eine tiefe Krise gestürzt und sorgt für Enttäuschung. Ciudadanos soll diese Stimmen an sich binden und so Podemos schwächen. Deshalb werden sie von Unternehmern und Medien hofiert. Laut Umfragen scheint diese Rechnung zumindest teilweise aufzugehen. Podemos verliert an Stärke.

Denn mit einer weiteren Partei, die ebenfalls von „Veränderung“ redet, die sich ebenfalls den Kampf gegen die Korruption auf die Fahne geschrieben hat, ist die Diskussion eine andere. Iglesias und die Seinen können sich nicht mehr nur auf die „Kaste“ und die regierende PP konzentrieren. Sie müssen erklären und beweisen, dass und wie sie sich von Ciudadanos und deren vermeintlicher Veränderung unterscheiden. Plötzlich werden alte Schemata wie „links und rechts“, die bisher durch „unten versuv oben“ ersetzt worden waren, wieder interessant.

Ciudadanos hat ein neoliberales Wirtschaftsprogramm, das sich von dem der am rechten Rand der PP angesiedelten Stiftung FAES kaum unterscheidet. Podemos hat es bisher verpasst sich ordentlich zu definieren. Basisdemokratie ist neu, beliebt, aber auch langsam, wenn es darum geht zu reagieren und Programme zu erarbeiten.

Nur wenn es Podemos gelingt erneut die zentrale Position in Spaniens Politik zu erringen, die Diskussion zu bestimmen, besteht eine Chance tatsächlich die Wahlen im Herbst zu gewinnen. Eine Auseinandersetzung mit Ciudadanos ist dazu unerlässlich. Doch wenn sie dazu führt, dass Iglesias und die Seinen dabei die eigentlichen Gegner, die beiden großen Parteien aus dem Blickfeld verliert, droht die Gefahrm, dass sich das „kurze zeitfenster für eine Veränderung“, das die Podemos-Gründer ausgemacht haben, verschließt. Podemos würde dann kaum über die Rolle einer neuen, wenn auch starken Linken hinauskommen. Der Regierungspalast Moncloa würde dann in weite Ferne rücken.

Was bisher geschah: