© 2015 Reiner Wandler

Eine Frage der Prioritäten

Hepatitis C

Antonio Fernández (links) und Gracia de Miguel (Mitte) vor dem Regierungspalast Moncloa in Madrid.

„Sí se puede!“ – „Ja man kann!“ – ruft Gracia de Miguel immer wieder. Die 57-jährige Frau ist an Hepatitis C erkrankt. Zusammen mit zwei Dutzend Leidensgenossen hat sie am Ende eines in die Zehntausende gehenden Protestmarsches am Samstag durch die Madrider Innenstadt einen Brief an Ministerpräsidenten Mariano Rajoy im Regierungspalast Moncloa abgegeben. „Behandlung für alle“, heisst die Forderung.

„Wir wollen die Medikamente der neuen Generation“, sagt De Miguel, die im Rollstuhl sitzt. Gemeint ist der Wirkstoff Sofosbuvir, den der us-amerikanische Pharmakonzern Gilead unter dem Namen Sovaldi im Angebot hat. Das Medikament ist seit Anfang 2014 in Europa zugelassen.

In nur zwölf Wochen eliminiert Sovaldi in einem Mix mit weiteren Medikamenten den Hepatitis C Virus. Und das – anders als die bisherigen Wirkstoffe – so gut wie ohne Nebenwirkungen. Bei 95 Prozent soll eine Therapie erfolgreich sein. Das ist fast doppelt so gut wie bisher. Perfekt sollte man meinen, Doch das ganze hat einen Haken. Sovaldi ist teuer, sehr teuer.

1000-Dollar-Pille wurde das Medikament in den USA vom Volksmund getauft. Anfänglich kostete eine 12-wöchige Therapie mit einer Tablette täglich 84.000 Dollar – bei einem geschätzten Herstellungspreis von rund 100 bis 200 Dollar pro 84-Tabletten-Packung.

Der Hersteller hat mit verschiedenen Länder unterschiedliche Preise ausgehandelt. In den Entwicklungsländern liegen die Kosten für eine Behandlung unter 1.000 Dollar. „Hier in Spanien sind es 25.500 Euro“, zitiert De Miguel die Zahlen, die durch die Presse gehen, ohne dass das Gesundheitsministerium diese bestätigt oder dementiert. Mit den Zusatzelementen kostet die Therapie pro Patient damit immer noch über 40.000 Euro.

Hepatitis C ist eine heimtückische Krankheit. Jahrzehntelang kann der Virus um Körpern ruhen. Sobald er aktiv wird geht es rapide bergab. Der Virus greift die Leber an. Zirrhose, Leberkrebs führen letztendlich zum Tod. De Miguel, die im Alter von fünf Jahren eine Kinderlähmung erlitt, wurde 1987 an der Wirbelsäule operiert. Bei einer Bluttransfusion wurde sie mit Hepatitis C infiziert. Mittlerweile hat sie erste Leberschäden.

De Miguel hat mit einen Dutzend anderer Leidensgenossen die Eingangshalle eines der größten Krankenhäuser Madrids, dem Hospital 12 de Octubre, besetzt. „Die Sparpolitik tötet!“ steht auf dem roten Shirt das die Besetzer tragen. „Verbrecher“, nennt die kranke Frau Rajoy und dessen Gesundheitsminister Alfonso Alonso. Sie könnten uns heilen und tun es nicht!“ schimpft die frühpensionierte Sekretärin.

Hepatitis C

Antonio Fernández und Gracia de Miguel im Hospital 12 de Octubre in Madrid.

125 Millionen Euro hat die Regierung zugesichert, um das neue Medikament einzukaufen. Damit können rund 4.900 Patienten behandelt werden. Insgesamt gibt es in Spanien geschätzte 800.000 Hepatitis-C-Infizierten. Die meisten haben sie bei Transfusionen oder bei Reihenimpfungen angesteckt.

„Der Betrag ist völlig unzureichend“, schimpft Antonio Fernández, ebenfalls Hepatitis C infiziert, ebenfalls mit ersten Leberschäden, ebenfalls Besetzer und Sprecher der neugegründeten Plattform der Hepatitis-C-Infizierten (PlafHC), die hinter den Aktionen steht. Die PlafHC verlangt, das in einem ersten Schritt 800 Millionen Euro investiert werden, „um all diejenigen zu behandeln, bei denen der Virus bereits die Leber angegriffen hat“. Die Gesundheitsbehörden wollen nur diejenigen therapieren, die kurz vor dem totalen Leberversagen stehen. Pro Tag sterben in Spanien rund ein Dutzend Hepatitis-C-Patienten.

Für De Miguel, Fernández und all die anderen sind die hohen Kosten der Therapie eine Frage der Prioritäten. „Geld wäre da“, ist sich der PlafHC-Sprecher sicher. „Für die Rettung der angeschlagenen Banken hat Spanien 60 Milliarden Euro ausgegeben. Bankrotte Mautautobahnen werden mit 2,4 Milliarden finanziert und ein Erdgaslager, das im Erdbebengebiet errichtet wurde und nun eine Bauruine ist, mit 1,3 Milliarden“, rechnet Fernández vor. Gleichzeitig wurden im Gesundheitswesen Milliarden gespart, Einrichtungen privatisiert. „Kriminell“ nennt deshalb auch Fernández die Politik der Konservativen im Dienste der Brüssler Euro-Rettung.

Am Infotisch, den die Besetzer in der Eingangshalle aufgestellt haben, melden sich ständig weitere Erkrankte mit ihren Unterlagen. Die PlafHC wächst und wächst. Nach dem Protestmarsch vom Samstag ist für den 21. Januar eine Buskonvoi nach Brüssel geplant. Dort werden die spanischen Hepatitis-C-Patienten von den fünf EU-Parlamentariern der neuen Protestpartei Podemos empfangen. Deren Vorsitzender Pablo Iglesias hat eine ungewöhnliche Idee, um den Erkrankten zu helfen. „Die Regierung muss sich mit dem Konzern an einen Tisch setzen und klar machen, dass sie sich nicht dumm und dusselig verdienen können auf Kosten der Menschen in unserem Land“, sagt der 36-jährige Politikprofessor. Falls der Konzern keine besseren Preis anbietet, müsse das Patent für Sovaldi enteignet werden. Das sogenannte TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation sieht dies bei besonders teuren Medikamenten in bestimmten Fällen vor. Bisher wurden die sogenannten Zwangslizenzen zur billigeren Produktion eines Arzneimittels allerdings nur in Entwicklungsländern vergeben.

Was bisher geschah: