© 2014 Reiner Wandler

Tunesiens neuer Präsident

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Der Lebenslauf des ersten, freigewählten Präsidenten Tunesiens, Béji Caïd Essebsi, liest sich wie ein Geschichtsbuch des kleinen nordafrikanischen Landes. Vor 88 Jahren als Sohn eines Landwirtes und Enkels eines hohen Beamten des osmanischen Reiches geboren, schloss er sich Ende der 1930er Jahre der Jugendbewegung für die Unabhängigkeit Tunesiens von Frankreich an. Er studierte in Paris Jura, wurde Vorsitzender der „Muslimischen Studenten aus Nordafrika“. Mit dem Anwaltstitel in der Tasche kehrte er zurück und verteidigte Mitstreiter für die Unabhängigkeit vor der Kolonialjustiz.

Nach der Unabhängigkeit wurde der junge Anwalt Berater des ersten Präsidenten des freien Landes, Habib Bourguiba. Schnell stieg er zum Staatssekretär im Innenministerium, später zum Innenminister auf. Als Essebsi Anfang der 1970er auf Distanz zu Bourguiba ging, wurde er Botschafter seines Landes in Frankreich. Schließlich wurde er aus der Partei Bourguibas ausgeschlossen.

Anfang der 1980er feierte er sein erstes Come Back. Neue Gesichter bestimmten die Regierung unter Bourguiba. Essebsi wurde Aussenminister. Wenige Jahre später fiel er erneut in Ungnade und wurde 1986 als Botschafter nach Bonn geschickt.

1987, als der am 14. Januar 2011 gestürzte, zweite Präsident Tunesiens, Zine el-Abidine Ben Ali, die Macht übernahm, feierte Essebsi sein zweites Come Back. Bald wurde er Präsident des völlig machtlosen Parlamentes. Die Romanze mit Ben Ali dauerte nur wenige Jahre. Essebsi verabschiedete 1991 erneut aus der Politik und ging zurück in seine Anwaltskanzlei.

20 Jahre später erinnerten sich die Tunesier des alten Mannes. Der Vater von vier Kindern wurde zum Premier der dritten Übergangsregierung in Folge nach dem Sturz Ben Alis. Es gelang ihm die wirre, nachrevolutionäre Lage zu beruhigen. Unter seiner Regie wurden die ersten freien Wahlen für eine Verfassungsgebende Versammlung durchgeführt. Die islamistische Ennahda gewann und regierte fortan.

Der Erfolg der Islamisten war nicht zuletzt der völligen Zersplitterung des säkularen Lagers zu verdanken. Essebsi wandte sich mit seinem „Nidaa Tounes“, dem „Ruf Tunesiens“, an unabhängige Demokraten, Liberale, Gewerkschafter, aber auch an Mitglieder der ehemaligen Einheitspartei RCD und gründete eine neue Partei gleichen Namens. Das erklärte Ziel: Den Islamisten einen starken weltlichen Block gegenüberzustellen.

Dies gelang. Vergangenen Oktober gewann Nidaa Tounes die Parlamentswahlen und jetzt zieht Essebsi in den Präsidentenpalast in Karthago ein. Der Alte hat sich geschickt als historische Vaterfigur inszeniert und damit die Tunesier, die Ruhe, Stabilität und Aufschwung wünschen, hinter sich geschart.

Was bisher geschah: