© 2014 Reiner Wandler

Na dann, Prost!

 

Muslime trinken nicht. So steht es jedenfalls im Koran. Doch ein Blick auf die Börse zeigt, dass das so nicht stimmen kann. Ende Oktober überholte erstmals der tunesische Getränkehersteller SFBT die Banque de Tunisie an der Börse und ist damit das kapitalstärkste Unternehmen des Landes. Celtia heisst das Bier, das SFBT braut. Über 125 Millionen Liter des Hellen wurden in den ersten neun Monaten dieses Jahres konsumiert. Das ist ein neuer Rekord und das obwohl seit Februar mit Berber eine neues Bier aus dem Hause Heineken – „100 Prozent in Tunesien produziert“ – um die Kundschaft wirbt. Vor allem seit dem Sturz der Diktatur unter Zine el Abidine Ben Ali am 14. Januar 2011 steigt der Bierkonsum. Die Tunesier und auch die Tunesierinnen fühlen sich frei, ein Bierchen zu trinken. Und das obwohl das Land nach den ersten Wahlen im Oktober 2011 für zwei Jahre von Islamisten regiert wurde und der Tourismus deutlich zurückgegangen ist. SFBT hat seit 2011 einen Zuwachs von 20 Prozent beim Absatz von Celtia zu verzeichnen. Zwei Millionen der knapp 11 Millionen Tunesier geben an, Alkohol zu konsumieren.

Nirgends in Nordafrika ist es so einfach Bier zu trinken. Anders als in Marokko oder Algerien wird Bier nicht nur in teuren, internationalen Hotel, Luxusrestaurants und mehr oder wenig düstren Spelunken ausgeschenkt, oder in versteckten Alkoholläden verkauft. In den großen Städten gibt es überall Bars. Selbst vom Fass wird Celtia angeboten. Es ist für jeden Geschmack etwas darunter, vom traditionellen Kabarett mit trauriger arabischer Live-Musik bis hin zur Kneipe für eher jüngeres Publikum mit Rock, Reggae und Rap. Selbst in besonders religiösen Städten und Gemeinden, wo es offiziell keinen Alkohol gibt, ist es leicht die örtliche, halblegale Spelunke zu finden. Sie füllen sich Abend für Abend.

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Seit der Revolution hat so mancher die Zeichen der Zeit erkannt und schenkt Bier aus, wenn er einen Markt dafür wittert. So während der Flüchtlingskrise an der libyschen Grenze 2011, als der Aufstand gegen Gaddafi begann. In Ben Gardene, der letzten Stadt auf der tunesischen Seite, hielten sich wochenlang hunderte von Journalisten auf. Ein örtliches Restaurant bot plötzlich Bier an – nur für Ausländer. Die tunesischen Kollegen kamen gerne mit.

Alkoholkonsum steht für ein modernes Leben. Wer sich ab und an ein Bierchen gönnt, muss nicht weiter erklären, was er von den Islamisten hält. Es ist offensichtlich. Das ist nicht gleichbedeutend mit der völligen Ablehnung der Religion, sondern es zeugt von einer lockereren, individuellen Auslegung der Religion. „Im Koran steht nur, du sollst keine Substanzen nehmen, die deinen Kopf benebeln“, erklärte mir einmal ein alter Verwalter eines Weingutes in Algerien, das hauptsächlich für den Export produziert. „Ich halte es wie die Franzosen. Ein Gläschen zum Essen und ein zweites zu Abendessen, ist gesund und macht nicht betrunken. Warum sollte das verboten sein?“ fügte er hinzu.

Als 2011 der islamistische, tunesische Ministerpräsident bei einer Reise nach Saudi Arabien davon sprach, die Bars mit Alkoholausschank verbieten zu wollen, sorgte dies zu Hause für Aufregung bei Opposition und Presse. Er musste dies zurücknehmen und sich mit einer Erhöhung der Alkoholsteuer begnügen. Dem Konsum tat dies keinen Abbruch.

Auch in Marokko wurde der Alkoholverkauf zum Politikum. Die dort regierenden Islamisten wollten den Verkauf an Einheimische völlig verbieten. Die Opposition sprach von einem Verstoss gegen die Verfassung. „Das ist gegen die individuelle Freiheit“, erklärte ein Oppositionssprecher. Ausserdem dürften Ausländer und Einheimische nicht unterschiedlich behandelt werden. Das Alkoholverbot wurde nicht umgesetzt. Marokko produziert je nach Ernte zwischen 300.000 und 400.000 Hektoliter Wein. 85 Prozent davon werden auf dem heimischen Markt abgesetzt. Neben den lokalen Brauereien produzieren auch internationale Marken wie Heineken oder Budweiser in Marokko.

In Algerien gab es immer wieder Versuche den Alkohol weitgehend zu verbannen. Doch selbst in den Jahren des islamistischen Terrors, in denen immer wieder Bars in die Luft gesprengt wurden, versiegte das Bier nie ganz. Als 2010 die Öffnungszeiten für Kneipen und Restaurants mit Alkohol auf 22 Uhr im Sommer und 20 Uhr im restlichen Jahr beschränkt werden sollten, machte die wichtigste, frankophone Tageszeitung des Landes, El Watan, eine Umfrage: „Wenn es in Ihrer Provinz keine Bars mehr geben wird, was machen Sie dann?“ 59 Prozent gaben an „zu Hause zu trinken“, 11 Prozent wollte dann eben in „eine klandestine Bar“ gehen, 20 Prozent wollten gar den Weg in die Nachbarprovinz auf sich nehmen und nur 1 Prozent erklärte dann „eben nicht mehr zu trinken“.

Was bisher geschah: