© 2014 Reiner Wandler

@ahorapodemos Bewegung wird Partei

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PPSOE – „Können wir hereinkommen?“ CC: ElkokoParrilla 

 Das politische Leben in Spanien kennt derzeit nur ein Thema. „Podemos“. Ob in der Presse, den Talkshows oder ganz einfach auf der Arbeit, beim Bäcker oder am Tresen, es geht um die neue politische Kraft und deren Wortführer, dem 35-jährigen Politikprofessor Pablo Iglesias. Bei den Europawahlen holten „Podemos“ – „Wir können“ – aus dem Stehgreif 1,2 Millionen Stimmen (8 Prozent) und damit 5 Europa-Abgeordnete. Umfragen sehen die Bewegung bereits gleichauf mit der sozialistischen PSOE. „Wir sind angetreten, um zu regieren“, wird Iglesias nicht müde in den unzähligen Talkshows zu verkünden, zu denen er geladen wird. Doch bis es so weit ist, muss die lose Bewegung zur Partei werden. Von Mitte September bis Mitte November soll dies in einem komplexen Prozess online und in der realen Welt geschehen. „Bürgerversammlung“ wurde das ganze getauft.

„Wenn Du nicht Politik machst, machen sie die Politik für dich“, heißt eines der Leitmotive der Bewegung. Es geht nicht um die große Revolution, sondern um „den gesunden Menschenverstand“. Ein Teil der Schulden, der aus der staatlichen Bankenrettung und aus Unterstützung großer Firmen stammt, sollen nicht bezahlt werden. Eine öffentliche Schuldenkontrolle soll dies bewirken. „Podemos“ will ein Mindesteinkommen für alle.

Und es geht um mehr Basisdemokratie und um mehr Transparenz. „Die Kaste“ – wie „Podemos“ all diejenigen nennt, die von der Politik oder der Nähe zur Macht leben – soll aus den Amtsstuben verjagt, Korrupte vor den Kadi gestellt, der Einfluss der Banken und Großunternehmen gebrochen werden. Außerdem will „Podemos“ die „Drehtüren zwischen Politik und Wirtschaft“ schließen. Denn viele ehemalige Minister und Regierungschefs enden in Aufsichtsräten der großen spanischen Energieversorger, bei Banken oder anderen Firmen.

Diese Ideen sind populär in Zeiten der Krise mit Sozialkürzungen, sechs Millionen Arbeitslosen, Zehntausenden von jungen Menschen, die ihr Glück im Ausland suchen müssen, Hunderttausenden von zwangsgeräumten Wohnungen. Über 130.000 Menschen aller Altersgruppen und unterschiedlichster sozialer Herkunft haben sich mittlerweile online eingetragen. Über 900 Kreise – offenen und lose strukturierten Basisversammlungen in Stadtteilen und Dörfern – tagen Woche für Woche auf Plätzen und in Parks. Jetzt soll aus diesem Sammelsurium, das an die Bewegung der Empörten aus dem Jahr 2011 erinnert und sich teilweise aus dieser speist, eine Partei neuen Stiles werden. Gut genug organisiert, um zu funktionieren, aber lose genug, um den Charakter der offenen Basisbewegung nicht zu verlieren.

88 Organisationsentwürfe wurden online gestellt. Wie groß soll der Zentrale Kreis – die Führung – sein? Welche Mechanismen soll die Parteibasis haben, um Themen zu diskutieren, Ämter zu besetzen aber auch um Amtsinhaber abzuwählen? Die Debatte um die Entwürfe läuft in den Kreisen und im Netz. Bis zur ersten großen, offenen Versammlung am 18. Oktober in Madrid werden die Autorengruppen versuchen Positionen anzunähern und mehrere Entwürfe zu einem zusammenzufassen, bevor endgültig online abgestimmt wird.

Die hitzigsten Diskussionen löst ausgerechnet das Thema Wahlbeteiligung aus. 2015 ist ein Superwahljahr in Spanien. Im Mai 2015 werde flächendeckend die Gemeinderäte gewählt. Hinzu kommen die Regionalregierungen in 13 Autonomien. In zwei weiteren Regionen – Katalonien und Andalusien – könnte der Urnengang ebenfalls auf 2015 vorgezogen werden. Im Herbst dann stehen die Parlamentswahlen an. Nach den Europawahlen, bei denen die regierende konservative Partido Popular (PP) und die sozialistische PSOE zusammen erstmals auf unter 50 Prozent absackten, sehen die Umfragen „Podemos“ überall weit vorn auf Platz 3 oder gar Platz 2. Ein radikaler Politkwechsel scheint auf allen Ebenen möglich.

Die Beteiligung an den Regionalwahlen und den Parlamentswahlen ist unstrittig. Nicht so bei den Gemeinderatswahlen in den 8177 spanischen Kommunen. „Wir hätten Schwierigkeiten überall glaubwürdige Kandidaturen, die den Geist von Podemos repräsentieren, aufzustellen“, heißt es in einem Papier einer Gruppe rund um Iglesias. „Podemos“ solle nur im Rahmen breiter, offener und basisdemokratischer Bündnisse aus Bürgerbewegungen und Aktivisten linken Gruppierungen antreten. In über 30 Städten ist dies mittlerweile unter dem Namen „Ganamos“ – „Wir gewinnen“ – der Fall.

„Wir werden keine Listen erstellen, die mit Freunden eines Freundes in Form von Vetterleswirtschaft aufgefüllt werden“, erklärt Iñigo Errejón (31), ebenfalls Podemos-Gründer und wie Iglesias Politikprofessor an der Madrider Universität Complutense. Er fürchtet, bei eigenen Kandidatur um jeden Preis könnte die „Marke Podemos Schaden nehmen“, die Parteiführung könne die Kontrolle verlieren, Korrupte aus dem Gemeindeleben sich einschleusen.

So manchem an der Basis möchte dies nicht einleuchten. Nicht zu kandidieren sei „ein schwerer Fehler, der uns vom Ziel entfernt, die Kaste aus den Institutionen und aus der Macht zu verbannen“, hällt der Kreis aus Vallecas, einem Arbeiterstadtteil Madrids, entgegen, und trifft damit eine breite Stimmung an der Basis. „Wie werden wir für die Parlamentswahlen vorbereitet sein, wenn wir ein paar Monate zuvor nicht in der Lage sind bei den Kommunalwahlen anzutreten“, heisst es weiter. Die Autoren wollen Mechanismen, die über die Ehrenhaftigkeit von Kandidaten und Amtsinhabern wacht, anstatt aus Angst vor Korruption auf Kandidaturen zu verzichten.

Was bisher geschah: