Autokorsos bis in die tiefen Nachtstunden, Feuerwerke und Youyous – die Freudenschreie der Frauen – nicht nur in der Hauptstadt Algier feierte am Sonntag Abend die Fussballbegeisterten den Sieg ihrer Nationalmannschaft über Süd-Korea. Die Wüstenfüchse – wie das algerische Nationalteam im grünen Trikot genannt wird – hat erstmals nach 32 Jahren wieder ein WM-Spiel gewonnen. Heute Abend gegen Russland könnte „Les Verts“ – „Die Grünen“ – den Einzug ins Achtelfinale besiegeln. Algerien würde dann endgültig Kopf stehen.
Fussballfans im öl- und gasreichen, nordafrikanischen Land mussten sich lange mit kleinen Freuden begnügen. Die Nationalmannschaft ist erst zum vierten Mal bei der WM. Außer einer Afrikameisterschaft 1990 hat die Nationalelf, die 1962 nach der Unabhängigkeit von Frankreich entstand, nichts vorzuweisen. Nichts? Das stimmt nicht ganz. Wer als Deutscher nach Algerien reist, weiss das. „1982 -Gijón, äh?“ lautet die Frage immer wieder zu hören.
Alle, auch die, die längst noch nicht geboren waren, wissen, was an jenem 25. Juni 1982 in der nordwestspanischen Stadt passierte. In einem Nichtangriffspakt spielten Deutschland und Österreich genau das 1:0 heraus, das nötig war, damit beide bei der WM ins Achtelfinale kommen. Leidtragende dieser „Schande von Gijón“ waren die Wüstenfüchse. Sie hatten in den Gruppenspielen Deutschland und Chile geschlagen. Das Betrugsmanöver endete für die Algerier dennoch mit einer Rückfahrkarte und für Deutschland letztendlich mit dem Einzug ins Finale in Madrid, wo Italien den Titel holen sollte. Es war das Ende der besten Generation von Nationalspielern, die Algerien bis dahin kannte. Erst jetzt, 32 Jahre später steht mit dem Team unter dem bosnischen Trainer Vahid Halilhodžić wieder einer vergleichbar gute Elf auf dem Rasen.
Es war ein langes Warten mit einem dunklen Jahrzehnt, in dem Algerien in einen blutigen Bürgerkrieg zwischen Armee und Islamisten versank. Fußball gab es dennoch. Die Mannschaften der ersten algerischen Liga füllten trotz Bombenanschlägen und Massakern Woche für Woche die Stadien. Lokalderbies wie Mouloudia Alger gegen den kleineren Union Sportive de la Médina d’Alger (USMA) gehörten dabei ebenso zu den Klassikern, wie die ewige Rivalität der Hauptstädter mit den rebellischen Kabylen rund um die Jeunesse Sportive de Kabylie (JSK) aus Tizi Ouzou oder den Mouloudia Oran aus der zweitgrößten Stadt des Landes. Große Siege und herbe Niederlagen machten den grausamen Alltag vergessen.
Ganz nebenbei wurde Algerien in jenen Jahren der „Ereignisse“, wie der Bürgerkrieg mit seinem knapp 200.000 Toten in der Umgangssprache verharmlost wird, irgendwie auch noch Welt- und Europameister. Denn es war ihr Zinédine Zidane, der die einstige Metropole Frankreich 1998 und 2000 zum Sieg erst über Brasilien und dann über Italien schoss. Die Autokorsos fehlten auch damals in den algerischen Städten nicht. Und die Fernsehbilder der Champs-Élysées in Paris mit algerischen Fahnen, mitten im blau-weiss-roten Jubel, erfüllte die Fussballfans auf der anderen Seite des Mittelmeers mit Stolz.
Ein kleines Detail, das den meisten Zuschauern des Süd-Korea-Spieles entgangen sein dürfte, zeigt wie die Algerier fühlen, wenn es um ihre „Verts“ geht. Als der Schütze des dritten Tores gegen Süd-Korea, Abdelmoumene Djabou, ausgewechselt wurde, küsste er den Wappen auf seinem Trikot. Aber nicht den Algeriens, sondern der der Nationalen Fussballverbandes. Die Algerier sind stolz auf ihr Land, aber nicht auf das was die Clique an der Macht daraus gemacht hat. Als Präsident Abdelaziz Bouteflika der Nationalmannschaft per Telegramm seine Unterstützung zusicherte, war dies schnell Anlass zu Hohn und Spott zu Hause. Die Nachrichtenseite Algerie 360, die im Internet macht, was sich Radio und Fernsehen nicht erlauben können, zeigte einen satirischen Video. Die Nationalelf hört die Botschaft des Präsidenten auf einem Telefon. Es sind unverständliche Laute. Bouteflika war erst vor wenigen Monaten trotz eines Schlaganfalls in einem alles anderen als sauberen Urnengang wiedergewählten worden. Ärzte bestätigten ihm die gute Gesundheit, die ein Kandidat für das höchste Amt vorweisen muss. Sympathie wird dem Präsidenten auch der Fussball nicht bringen. Die algerischen Fans kennen dieser Tag nur einen Raīs – so das Wort für Präsident auf arabisch – und der steht im Tor der Wüstenfüchse.
Die Hoffnungen für heute Abend sind groß. „Jetzt ins Achtelfinale und dann kommen wir hoffentlich soweit, dass wir gegen Deutschland spielen“, wünscht sich Wassila, Basketballtrainerin und Fan des kleinen hauptstädtischen USMA. „Und wenn wir gewinnen, dann wird der Unabhängigkeitstag künftig am Tag dieses Spieles gefeiert“, scherzt die 35-Jährige, deren Eltern einst im antifranzösischen Untergrund waren, nach dem Sieg über Süd-Korea per Facebook.