© 2014 Reiner Wandler

Das Kreuz mit der Natur

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Als wir nach einem langen Sommer auf dem Yukon nach Hause kamen, war uns schon klar, dass Spanien nicht Canada ist. Dennoch kauften wir vor lauter Begeisterung über das, was wir auf dem großen, nordamerikanischen Fluss gelernt hatten, einen Canadier, ein kanadisches Kanu. Kaum war das Boot da, kam auch schon die Ernüchterung. Was wir nicht gewusst hatten, Spanien ist das einzige europäische Land, in dem es nicht einfach so erlaubt ist, mit dem Stechpaddel die Gewässer unsicher zu machen. Während der Bodensee, der Rhein, die Donau oder die Seine frei befahrbar sind, bedarf es in Spanien für jedes noch so kleine Gewässer einer Genehmigung.

Je nach Fluss – und seiner Zuflüssen und Stauseen – kostet diese zwischen 30 und 50 Euro im Jahr. Duero, Tajo, Guadiana, Guadalquivir – rund um Madrid kommt da so einiges zusammen. Um vom Aufwand ganz zu schweigen. Denn in Zeiten des Internet muss die Anfrage per Post geschickt werden, für jeden Fluss einzeln versteht sich. Die Antwort mit Rechnung kommt dann rund zwei Monate später, ebenfalls per Post. Wir traten dem Kanuverband bei. Dieser hat Kollektivgenehmigungen. Ein erstes Problem war gelöst.

Dem Kanu folgte bald ganz stilecht ein bequemes, geräumiges Tipi. Schließlich müssen wir das Zelt nicht schleppen, es liegt ja im Boot. Uns erwartete die nächste Überraschung. Es ist in Spanien mittlerweile in allen Regionen strickt verboten, wild am Fluss- oder Seeufer zu campen. Zeltplätze gibt es nur wenige. Das beschränkt den Paddler auf Tagestouren, oder er macht den Weg nach Portugal. Dort ist das Zelten noch immer geduldet – zumindest wenn es nur für eine Nacht ist.

In Spanien droht die Guardia Civil. Wen sie ohne Genehmigung auf einem Fluss oder Stausee erwischt muss pro Person im Boot mit 600 bis 6.000 Euro Bussgeld rechnen. Für Zelten gilt das gleiche. Unsere Nachbarn hier in Madrid mussten dies erfahren. Sie haben sich im Süden ein kleines Landhäuschen mit einem Hektar Grund und Boden gekauft. Solange sie es renovierten, schliefen sie im Zelt – auf ihrem eigenen Grundstück wohlgemerkt. Die Anzeige durch die Guardia Civil liess nicht auf sich warten. Zwei Erwachsene und ein Kind machte stolze 1.800 Euro. Das Häuschen steht in Extremadurien. Das dortige Gesetz gegen Camper ist eines der schärfsten in ganz Spanien und trägt den Titel: „Gesetz zur Förderung des Tourismus“.

Freilich wird die Natur nicht immer so streng geschützt. Die konservative Landesregierung in Castilla – La Mancha, südlich von Madrid, unter Dolores de Cospedal, der Generalsekretärin der Partido Popular von Ministerpräsident Mariano Rajoy, hat sich etwas ganz besonderes ausgedacht. Um die Landeskasse zu sanieren, verkauft sie staatliche Wälder an reiche Jagdliebhaber. Lizenz zum Töten inbegriffen. Geht Spaniens König oder anderer Hoch- und Geldadel mit der Büchse los, sperrt die Guardia Civil gerne einmal hunderte von Hektar ab.

Und in Andalusien will die Madrider Regierung unter Rajoy eine 14 109 Hektar grosse Finca mit dem Namen Almoraima verkaufen. Sie liegt mitten im Korkeichennaturpark, einem der letzten Wälder seiner Art. Um den Hain unweit der Städte Málaga und Cadíz an den Mann zu bringen, wurde eigens ein Bebauungsplan beschlossen. Dieser erlaubt eine Hotelanlage und einen Golfplatz. Die Gäste sollen Jagdlizenzen im Naturschutzgebiet erhalten.

Die Jäger haben es den Konservativen angetan. So bereitet die Regierung in Madrid ein neues Jagdgesetz vor. Dies wird es künftig erlauben ganze Landstriche abzuriegeln. Wandern, Radfahren, Pilzesameln oder sonstige Freiluftaktivitäten werden verboten solange Jagdsaison ist. Umweltschützer befürchten, dass mit dem neuen Gesetz Unternehmen an Jagdtouristen mehr Abschussgenehmigungen als bisher verkaufen dürfen.

„Die Natur gehört allen!“, beschweren sich Wandervereine und Naturschützer und so steht es auch in der spanischen Verfassung. Doch in Zeiten der Krise sieht Madrid das anders. Alles muss seinen wirtschaftlichen Nutzen haben. So wurde in einem der bekanntesten Nationalparks, dem Monfragüe in Extremadurien, die Normen geändert. Bisher war es strickt verboten, den Abschnitt des Tajos zu befahren, der zum Park gehört. Künftig wird dies nicht mehr gelten.

Wer glaubt, dass wir damit für unseren Canadier ein neues Betätigungsfeld haben, irrt. Denn die Lizenzen werden an Tourismusunternehmen vergeben. Die dürfen dann mit ihren Ausflugsschiffen dort hin schippern, wo unser kleines, kanadisches Kanu mit seinen beiden Stechpaddeln weiterhin als Gefahr für Flora und Faune gilt.

Was bisher geschah: