© 2014 Reiner Wandler

Ende des Zwei-Parteien-Systems

L1208259

Spaniens Presse berichtet über die Umfragen, wie gewohnt. Bei den Europawahlen kann die regierenden Partido Popular (PP) einen knappen Sieg über die sozialistische PSOE davontragen. Doch was da zur Nachricht wird, ist es eigentlich nicht. Die Schlagzeilen müssten lauten: „Das Zweiparteiensystem ist tot.“ Denn sowohl die Sozialisten der PSOE als auch die mit absoluter Mehrheit regierende PP verlieren – falls sich die Umfragen am Wahltag bestätigen – bis zu einem Drittel ihrer Stimmen. Insgesamt könnten die beiden Parteien vier Millionen WählerInnen im Vergleich zu den Europawahlen vor fünf Jahren verlieren. Die PP werden zwischen 31 und 32 Prozent der Stimmen vorhergesagt. Beim letzten Mal waren es 42,7 Prozent. Und die Sozialisten rutschen von 39,3 Prozent auf unter 31 Prozent. Sowohl PP als auch PSOE würde damit jeweils fünf ihrer bisher 24 bzw. 23 Parlamentssitze einbüßen.

Was auf der Straßen von den „Empörten“ mit Parolen wie „Sie vertreten uns nicht“ oder „PPSOE“ zum Ausdruck gebracht wird, ist bei den großen Medien und in der Politik noch nicht so richtig angekommen. Das System, das in Spanien seit dem Ende der Diktatur in den 1970er Jahren funktionierte, steckt in einer tiefen Krise.

Die Vereinigte Linke (IU) und die in der politischen Mitte angesiedelte Union für Demokratie und Fortschritt (UPyD), die sich aus Dissidenten der beiden Großen speist, sind die Hauptgewinner dieser Entwicklung. IU werden mehr als zehn Prozent der Stimmen statt bisher 3,8 Prozent vorhergesagt und UPyD über sechs statt bisher 2,9 Prozent.

Viele Menschen suchen gar nach ganz neuen Alternativen. Und an denen wird es bei der Europawahl nicht fehlen. Links und rechts treten neue Formationen an und versprechen sich ein Sitz in Straßburg. Allen voran wird es die Stunde der Wahrheit für Spaniens grüne Partei Equo. Bei den letzten spanischen Parlamentswahlen deutlich gescheitert, sollen die Europawahlen jetzt zeigen, dass in Spanien für politische Ökologie eine Wählerschaft gibt. Unter der Marke „Europäischer Frühling“ suchen sie den Erfolg in Koalition mit mehreren kleinen regionalen Formationen. Je nach Umfragen dürfen sie sich mit 2,5 Prozent Hoffnung auf einen der 54 spanischen EU-Abgeordneten machen.

Leicht wird es nicht, denn zwei völlig neue Parteien streiten sich mit Equo um den Teil der Wählerschaft, dem auch die postkommunistische IU zu traditionell ist. Die Partei X versucht den Unmut der Empörten zu vertreten. Sie agiert hauptsächlich im Internet, spricht von direkter Demokratie, horizontalen Strukturen und Basisentscheidungen. Die Umfragen sehen sie nicht im Parlament.

Ganz anders „Podemos“ – „Wir können“, die sich auf bis zu drei Sitze Hoffnung macht. Es ist das Projekt von Pablo Iglesias, einer der wenigen fortschrittlichen Stimmen in Spaniens TV-Landschaft, die von der PP weitgehend kontrolliert wird. Der 36-jährige Politikprofessor der Universität Complutense in Madrid nimmt regelmäßig an Talkshows teil. Er ist zur Stimme derer geworden, die mit der Austeritätspolitik nicht einverstanden sind. Iglesias scharrt heimatlose Linke und Aktivisten aus den sozialen Protesten um sich.

War es bisher nur die politische Linke, wo sich mehrere Kräfte um die Wählergunst streiten, wird bei der Europawahl auch der PP ein Konkurrent entstehen. „VOX“ nennt sich die neue Kraft. Es ist so etwas wie die spanische Tea-Party. Namhafte Politiker aus dem Lager der Konservativen haben sich VOX angeschlossen. Sie wollen ein noch härteres Vorgehen gegen die Separatisten in Katalonien und dem Baskenland, sind gegen Hafterleichterung für Gefangene aus ETA, gegen Abtreibung auch nach einer Vergewaltigung und gegen Homoehe. Rund eine Million der rund zehn Millionen Wähler aus dem Lager der PP sollen VOX ideologisch nahestehen, so die Einschätzung der Meinungsforscher. Dass sie das auch an den Urnen zum Ausdruck bringen, zeichnet sich bei den Umfragen allerdings noch nicht ab. Aber noch steht der Wahlkampf bevor.

Angesichts des Einbruchs des Zweiparteiensystems werden Stimmen laut, die für die in zwei Jahren in Spanien anstehenden Parlamentswahlen vorausplanen. Sie sehen die deutsche Große Koalition als Vorbild. Diese Idee wird von wichtigen Unternehmern und ehemaligen sozialistischen Regierungschefs wie Felipe González und José Luis Rodríguez Zapatero forciert. Gegner eines solchen Projektes befürchten, dass eine gemeinsame Regierung der beiden Großen, das endgültige Aus der Hegemonie der Sozialisten und Konservativen einleiten könnte.

Was bisher geschah: