© 2014 Reiner Wandler

Krise und Fussball

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Dieses Viertelfinalspiel des spanischen Pokals wird in die Geschichte eingehen, und das obwohl es überhaupt nicht ausgetragen wurde: Die Mannschaft des heimischen Drittligisten Racing de Santander versammelte sich an der Mittellinie. Anpfiff. Die gegnerische Elf, des Erstligisten Real Sociedad aus San Sebastián spielte den Ball in die eigene Hälfte und dann ins Aus. Die Kicker des Racing ließen ihn dort liegen. Nach mehreren Ermahnungen brach der Schiedsrichter die Begegnung ab. Die Spieler beider Mannschaften trafen sich Mittelkreis, umarmten sich herzlich. Von den Rängen hallte es: „Diebe raus!“

Die Rufe galten dem Vorstandsvorsitzenden des Racing de Santander, Ángel Lavín, der seit Oktober Spielern, Trainer und technischem Team keine Gehälter mehr bezahlt. In den sozialen Netzwerken liefen von Spielern aller großen Vereine in Spanien und Europa Sympathiebekundungen auf. Lavín blieb dem Stadion vorsichtshalber fern.

Es war das bisher letzte Kapitel in der nicht enden wollenden Krise des völlig überschuldeten Racing de Santander. Vor genau drei Jahren stieg der indische Multimilliardär Ashan Ali Sayed beim Racing ein. Er kaufte die Mehrheit der Aktien mit dem Versprechen, den Traditionsclub aus dem nord-west-spanischen Kantabrien ganz nach oben zu führen. Das Gegenteil war der Fall. Racing stieg erst in die zweite und dann in die dritte Liga ab. Ali Sayed ließ einen völlig überschuldet Club zurück, als er im Mai 2013 auf seine Aktien verzichtete. Eine Kapitalerweiterung scheiterte am fehlenden Käuferinteresse. Vorbei waren die Zeiten, als die regionale Politik bereitwillig für Millionenkredite aus der regionalen Sparkasse sorgen konnte. Denn diese kämpft gegen die Folgen der geplatzten Immobilienblase.

20 Vorstandsmitglieder und zwei Präsidenten durchliefen in nur drei Jahren die Chefetage im Stadion El Sardinero, viele von ihnen sind eng mit der in Madrid und Santander regierenden konservativen Partido Popular (PP) verstrickt. So war der Ex-Präsident und spätere Verwalter des Aktienpakets von Ali Sayed, Francisco Pernía Generalsekretär der Konservativen in Kantabrien. Jetzt soll er aus der Partei ausgeschlossen werden. Die Vermischung von Sport und Politik, die einst für Popularität und Wählerstimmen sorgte, ist mittlerweile ein Problem für die Regionalregierung. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird der Konkursverwalter den Club abwickeln müssen.

Der Drittligist Racing de Santander ist kein Einzelfall. Traditionsvereine wie der südspanische Xérez, der sevillanische Verein Real Betis Balompié oder Real Zaragoza und Deportivo de la Coruña sind vom endgültigen Aus bedroht. Längst ist die Rede von einer „Blase im Profifußball“. Alleine die Vereine der ersten Liga haben Schulden von 3,6 Milliarden Euro angehäuft. Die beiden Großen – FC Barcelona und Real Madrid – sollen laut Medien jeweils rund 900 Millionen Euro schulden. Trotz der alarmierenden Zahlen verschulden sich die Erstliga-Vereine weiter. Jährlichen Gesamteinnahmen von 1,8 Milliarden Euro stehen Ausgaben von 2,1 Milliarden gegenüber. 50 Prozent der Einahmen generieren alleine FC Barcelona und Real Madrid.

Die Erstligisten stehen mit über 700 Millionen beim Finanzamt in der Kreide und mit mehr als 16 Millionen bei der Sozialversicherung. Genaue Zahlen veröffentlicht die Regierung nicht. Jahr für Jahr werden den Vereinen – trotz des hohen Defizits im Staatshaushalt – ihre Steuerschulden gestundet.

Die Europäische Union ermittelt mittlerweile gegen sieben spanische Erstliga-Vereine. Betroffen sind die beiden Spitzenclubs Real Madrid und FC Barcelona sowie Athletic de Bilbao, Osasuna aus Pamplona und die drei Vereine aus der Region Valencia, der FC Valencia, der FC Elche und FC Hércules aus Alicante. Ihnen allen wird vorgeworfen, sich dank guter Beziehungen zu Regierung und Verwaltung Vorteile verschafft zu haben, die den nationalen und internationalen Wettbewerb verzerren.

So sind FC Barcelona, Real Madrid, Osasuna und Athletic de Bilbao bis heute Vereine, obwohl ein Gesetz von 1990 alle Clubs verpflichtet, sich in Aktiengesellschaften umzuwandeln. Dies verschafft den vier steuerliche Vorteile. Real Madrid soll durch Immobiliengeschäfte mit der Regionalregierung indirekt subventioniert worden sein. Und die drei Clubs aus dem Land Valencia erhielten durch Bürgschaften der dortigen Regionalregierung Kredite von insgesamt 118 Millionen Euro.

Was bisher geschah: