© 2014 Reiner Wandler

Auferstehen aus Ruinen

9898777556_15bea11c29_b

Barcelona hat ein neues Museum, oder besser gesagt eine Gedenkstätte. Unter einer Markthalle wurde das ausgegraben, was von der mittelalterlichen Altstadt übrig ist. Es sind die Ruinen zerstörter Häuser aus der Belagerung Barcelonas am Ende des Erbfolgekrieges 1714. „In einer Mischung aus isrealischem Yad Vashem – dem Museum für die Opfer des Holocaust – und dem katalanischen Fußballstadion Camp Nou“ – so die spanische Tageszeitung El País – wird jetzt an einem Mythos gestrickt. Dem der unerschrockenen Katalanen, die bis heute – 300 Jahre später – unermüdlich kämpfen, um ihre Idendität und Sprache zu bewahren. „Born CC“ heißt das Zentrum, das eigens für den 300. Jahrestag jener Niederlage und damit des Verlustes der weitgehenden Eigenständigkeit – so zumindest die Leseart der katalanischen Nationalisten – im großen, europäischen Krieg zwischen den Habsburgern und den Bourbonen um den Thron des kinderlosen spanischen Königs Karl II. errichtet wurde.

Von „Bombenterror“ ist die Rede, von massiven „Vergewaltigungen“, von der „Tyrannei der Gesetze Kastiliens“. Der Streit um Spaniens Thron wird zu einem Konflikt eines „katalanischen Staates“ gegen „das restliche Spanien“ hochstilisiert. Katalanisch-nationalistische Historiker unterstützen diese Sicht der Dinge. Andere werden als spanientreu beschimpft und halten dennoch dagegen. Der Streit hat einen aktuellen politischen Hintergrund. Die Niederlage vor 300 Jahren soll jetzt in einen Sieg umgemünzt werden. 2014 soll das Jahr Kataloniens werden. Die nationalistische Autonomieregierung fordert ein Referendum über die Unabhängigkeit der Sieben-Millionen-Einwohner Region.

„Der größte Verlust, den Katalonien als Folge der Niederlage 1714 hinnehmen musste“ sei „das Ende eines 400 Jahre alten, politischen Projektes, das ein repräsentatives Regierungssystem und eine Demokratisierung hervorgebracht“ habe, erklärte der Geschichtsprofessor an der Universität Pompeu Fabra (UPF) in Barcelona, Josep Fontana, seine Sicht der Dinge Mitte Dezember in seinem Eröffnungsvortrag auf dem Symposium zum Thema „Spanien gegen Katalonien“. Veranstalter war das Zentrum für katalanische Studien, das der Autonomieregierung untersteht.

Spanien war bis zum Erbfolgekrieg eine Doppelmonarchie aus dem Königreichen Kastilien und Aragón, das neben dem heutigen Katalonien einen Großteil der ostspanischen Mittelmeerküste sowie die Balearischen Inseln umfasste. Das 1162 entstandene Königreich Aragón vereinigte sich 1516 mit Kastilien zur spanischen Krone, behielt aber bis zum Erbfolgekrieg seine alte Freiheiten. Während Kastilien sich auf die Seite der Boubonen schlug, verteidigte Aragón die Habsburgerdynastie. Nach der Niederlage der Habsburger wurde Spanien eindgültig zu einem einzigen Königreich. Die letzte große Kriegshandlung war die Belagerung der Stadt Barcelona, die sich am 11. September 1714 ergab. Das Datum ist heute der katalanische Nationalfeiertag.

Tatsächlich hatte Katalonien anders als Kastillien die Cortes, ein Parlament in dem Kirchevertreter, Adlige, Militärs und die freien Städte saßen. Diese Kammer hatte, ähnlich wie in England, gewisse gesetzgeberische Befugnisse. Hinzu kam eine weitgehende Selbstverwaltung der Städte. Für Fonatana, einem der wichtigsten katalanischen Historiker, der von der Autonomieregierung mit den höchsten Auszeichnungen bedacht wurde, war Katalonien damit ab dem 13. Jahrhundert „eines der am meisten fortgeschrittensten Systeme Europas“.

Die kastilische Monarchie schuf nach dem Krieg all diese Institutionen ab. Einzig und alleine das Zivilrecht – ebenfalls fortschrittlicher als im restlichen Spanien – wurde beibehalten. Andere Regionen des Königreiches Aragón, wie zm Beispiel Valencia, erlitten ein ähnliches Schicksal. Für Fontana war deshalb der Erbfolgekrieg nicht einfach ein Krieg zweier europäischer Dynastien um den Thron in Spanien, sondern vor allem „ein Kampf zwischen einen politischen System, das in Richtung Fortschritt und Demokratisierung ging und der absoluten monarchischen Macht“. Katalonien wird damit zum Synomym für Fortschritt, Kastillien für Reaktion.

Der neue Zentralismus der Bourbonen habe neben der Zersschlagung der alten Institutionen immer wieder versucht, Kultur und Sprache der Katalanen zu vernichten- so zum Beispiel im Bürgerkrieg (1936 bis 1939) und der anschließenden Diktatur von General Francisco Franco, erklären Fonatan und Kollegen.

Doch für die nationalistschen Historiker hört die Liste mit Spaniens Übergang zur Demokratie und der weitgehenden Autonomie für Katalonien nicht auf. Für sie ist der letzte Schritt der Unterdrückung Kataloniens die Entscheidung des spanischen Verfassungsgerichtes 2010, Teile des neuesten Autonomiestatutes für verfassungswidrig zu erklären, sowie ein neues Schulgesetz der derzeitigen konservaiven Regierung in Madrid, das der spanischen Sprache wieder mehr Gewicht einräumt. Fontana sieht darin „einen neuen Prozess der Rezentralsierung“. „Man scheint nichts aus den Lektionen der gescheiterten Versuche in 300 Jahren gelernt zu haben“, urteilt er.

Gescheitert am Willen der Katalanen, versteht sich. Denn „die Kontinuität der 300 Jahre Geschichte ist nicht zu verstehen, wenn man vergisst, dass unterschwellig eine mächtige und tiefgreifende Strömung des kollektiven Bewusstseins besteht, die es uns ermöglicht hat, Identität und Sprache zu erhalten, trotz aller Versuche sie zu verneinen. Eine Strömung, die manchmal verschwunden scheint, aber immer wieder ans Licht tritt, wenn ein Hindernis zu überwinden ist“. Das geplante Referendum 2014 ist für Fontana ein solcher Moment.

„In Katalonien gibt es ein Grundhaltung, sich nur schwer ins restliche Spanien einfügen zu wollen. Der Grund dafür sind zum Teil einigen sehr lange zurückliegende geschichtliche Ereignisse, die sich aber leicht aufwärmen lassen, um die Leute aufzustacheln“, hält der Historiker Gabriel Tortella von der Universität Alcalá in einem Debattenbeitrag in der El País entgegen. „Die katalanische Regierung hat die Bevölkerung gezielt indoktriniert. Das zeigt Wirkung“, ist er sich sicher. Dazu sei vor allem das Schulsystem und die öffentlichen Medien eingesetzt worden. „Es wurde ein verzerrtes Geschichtsbild verbreitet, in dem die Katalanen Opfer sind.“ Es sei „ein Bild voller falscher Behauptungen, wie der, dass 1714 eine katalanische Nation, die für ihre Unabhängigkeit kämpfte, niedergemacht wurde“, schreibt Tortella. Für ihn ist Katalonien alles andere als eine Kolonie Zentralspaniens. „Das mit der Ausbeutung passt nur schlecht mit der beeindruckenden wirtschaftlichen Entwicklung des Prinzipats zusammen seit es ‚unterjocht‘ wurde“, erklärt Tortella, der sich auf Wirtschaftsgeschichte spezialisiert hat. Katalonien habe sich nach dem Erbfolgekrieg „wirtschaftlich an die Spitze Spaniens gestellt, wo es zwei Jahrhunderte ausharrte“.

Die jetzige Indoktrinierung habe nur ein Ziel: „Der Nationalismus braucht sie, um an der Macht zu bleiben. Alle Nationalismen brauchen Mythen, soll heißen, eine mehr oder weniger verfälschte Geschichte, um sich zu rechtfertigen.“

Der Aufschrei in Katalonien ließ nicht auf sich warten. Ebenfalls auf den Seiten der El País entgegneten Borja de Riquer, Professor für Zeitgeschichte an der Autonomen Universität Barcelona und sein Kollege Joaquin Albareda, wie Fontana von der UPF: „Alles ist recht, um nicht darüber zu reden, was in den letzten zehn Jahren passiert ist.“ Sie zählen auf: „Das Urteil des Verfassungsgerichtes, das ein per Volksabstimmung angenommenes Autonomiestatut, platt machte, die ständigen nicht Erfüllung von in eben jenem Statut vorgesehenen Investitionen durch Madrid, etc. etc. Als Folge ist heute eine Mehrheit der Katalanen für das Recht zu entscheiden“ – eine Umschreibung für die Abhaltung eines Referendums über die Unabhängigkeit.

Die Autonomieregierung weiß um das Unbehagen vieler Katalanen in Zeiten der Wirtschaftskrise und der Austeritätspolitik. Keine Kürzung in Katalonien, ohne dass darauf verwiesen wird, dass die reiche Region, an ärmere, spanische Regionen Steuereinnahmen abgeben muss. Dass dies auch für die Madrilenen gilt, wird wohlweislich verschwiegen. Eine Forschungsgruppe soll im Auftrag der Autonomieregierung jetzt im spanischen Amtsblatt nach Beispielen suchen, die beweisen, wie Katalonien seit der historischen Niederlage 1714 gezielt schlechter behandelt wurde, als andere.

„Es kann sein, dass Katalonien in jüngster Zeit benachteiligt wurde, das muss diskutiert und korrigiert werden“, versucht Fernando Andrés, Historiker an der Autonomen Universität in Madrid zu schlichten. „Aber 300 Jahre zurückzugehen, um von einer ständigen Benachteiligung zu reden ist weder präzise und stringent, noch geschichtlich richtig“, fügt er hinzu. Für ihn war der Erbfolgekrieg ein internationaler, europäischer Konflikt und kein Kampf zwischen Spanien und Katalonien. „Wir befinden uns in einer schwerwiegenden Situation, die von allen eine große Anstrengung verlangt, damit wir nicht einer Abspaltung beiwohnen müssen“, warnt Andrés.

Viele glauben, dass es dafür zu spät ist. Die Autonomieregierung hat zusammen mit allen nationalistischen Parteien für November ein Referendum über die Unabhängigkeit anberaumt. Die konservative Regierung unter Mariano Rajoy in Madrid will dies nicht zulassen. Ein solcher Schritt wird in Katalonien sicher nicht einfach als ein weiterer Punkt auf einer langen Liste hingenommen. „Vorwärts Katalonien“ – „Jetzt haben wir ein Datum“ „Wir werden siegen!“ – „Ja!“ lauten nur einige der Einträge in das Besucherbuch des Born Zentrums in Barcelona./Foto: asemblea.cat

Was bisher geschah: