Tunesien hat einen neuen Regierungschef. Am Samstag Abend einigte sich die bisher regierende isamistische Ennahda sowie deren beiden kleineren, sekularen Koalitionspartner im Rahmen des Nationalen Dialogs mit der Opposition auf den Rücktritt des bisherigen Premiers Ali Laarayedh. Er wird durch seinen Industrieminister Mehdi Jomaâ ersetzt. „Unser Volk hat lange warten müssen, aber trotz aller Schwierigkeiten ist der Dialog nicht gescheitert“, zeigte sich der Vorsitzende der starken tunesischen Gewerkschaft UGTT Houcine Abassi erleichtert. Zusammen mit dem Unternehmerverband, den Anwaltsverein und der Menschenrechtsvereinigung hatte er in den zwei Monate dauernden Gespräche vermittelt.
Der Dialog war von der Opposition erzwungen worden, nachdem Tunesien im Juli nach dem Mord eines wichtigen linken Oppositionspolitiker in eine tiefe politische Krise geraten. Bereits Anfang des Jahres musste die erste freigewählte Regierung im Geburtslandes des Arabischen Frühling abtreten. Auch damals war ein linker Oppositioneller und Gewerkschafter bei einem Anschlag getötet worden.
Der Dialog endeten am Samstag trotz Einigung turbulent. Nur 11 der 21 Parteien nahmen an der Abstimmung über Jomaâ teil. Mehrere Oppositionsparteien, darunter die in Umfragen stärkste politische Kraft, Nidaa Tounes, sowie die sozialdemokratische Republikanische Partei und die linke Volksfront hatten die Gespräche verlassen. Sie weigerten sich abzustimmen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt versuchte der Nationale Dialog einen Konsens auszuhandeln. Einmal – am Donnerstag Abend – gelang dies auch. Der für das Amt Auserkorene war ein ehemaliger Minister aus den Jahren direkt nach der Unabhängigkeit von Frankreich. Der Auserwählte lehnte ab. Mit 92 Jahren sehe er sich nicht in der Lage eine so schwierige Aufgabe zu übernehmen.
Was der Boykott der Wahl Jomaâs durch Teile der Opposition für die Zukunft bedeutet, wird sich am Mittwoch zeigen. Dann soll, so UGTT-Chef Abassi der Nationale Dialog erneut zusammentreten, um den weiteren Fahrplan zur Fertigstellung der künftigen Verfassung sowie die Vorbereitung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen für kommendes Frühjahr zu besprechen. Der neue Premier Jomaâ hat eine Woche, um ein Technokratenkabinett zusammenzustellen.
Für die Parteien, die die Abstimmung boykottierten, gilt Jomaâ als Mann der islamistischen Ennahda auch wenn er kein Parteibuch besitzt und als Unabhängiger im bisherigen Kabinett saß. Viel ist über den 51-Jährigen aus dem Mittelmeerort Mahdia nicht bekannt. Der Ingenieur war bis März 2013, als er das Amt des Industrieministers annahm, in der Privatwirtschaft tätig. Er war zuletzt Direktor der Luftfahrabteilung von Hutchison, einem Unternehmen, das zum französischen Konzern Total gehört. Sein Ministerium machte wenig von sich reden. Einzig die Pläne, Fracking in Tunesien zu fördern, stieß auf gewissen Widerstand.