© 2013 Reiner Wandler

Mit Geldstrafen gegen Proteste

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Was tun, wenn die Gerichte Polizei und Staatsanwaltschaft immer wieder abblitzen lassen, und den Protestierenden recht geben? Spaniens Innenminister Jorge Fernández Díaz hat die Lösung. Er arbeitete ein neues Gesetz zur Öffentlichen Ordnung aus, das schon diesen Freitag dem konservativen Kabinett unter Ministerpräsident Mariano Rajoy vorgelegt werden könnte. In 55 Artikeln beschäftigt es sich hauptsächlich mit den sozialen Protesten, die seit Beginn der Krise in Spanien immer zahlreicher werden. Künftig kann „Empörten“ je nach Aktion eine Strafe von 1.000 bis 600.000 Euro blühen.

Wer – wie in der Vergangenheit mehrmals geschehen – vor dem spanischen Parlament, dem Senat oder einem regionalen Kammer ohne Erlaubnis demonstriert, oder dazu per Internet aufruft, muss für eine „sehr schwere Ordnungswidrigkeit“ mit 30.000 bis 600.000 Euro Strafe rechnen. Das gilt auch dann, wenn an besagtem Tag überhaupt keine Parlamentssitzung stattfand. Genau aus diesem Grund sprach der Oberste Gerichtshof diejenigen frei, die vergangenen September in Madrid vors Parlament mobilisierten.

Gerät eine friedliche Demonstration ausser Kontrolle und kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, können die Organisatoren künftig ebenfalls mit bis zu 600.000 Euro Strafe belegt werden. Auch dieser Paragraph ist aus dem realen Leben gegriffen. Denn eine der Mobilisierungen vor dem Parlament endete im vergangenen Jahr in einer Straßenschlacht.

Doch das ganze hatte einen Schönheitsfehler. Handyvideos und Pressefotos zeigten, dass die Gewalt von eingeschleusten Provokateuren ausging. Einer wurde von seinen Uniformierten Kollegen aus Versehen verprügelt. Auf Facebook zirkulierte ein Video in dem der auf dem Boden liegende laut ruft: „Hört auf, verdammt ich bin ein Kollege!“

Wenig später kam es zu einem Polizeieinsatz im Bahnhof Atocha gegen friedlich auf den Zug wartende junge Menschen. Auch hiervon gab es Videos. Das Innenministerium kam nicht darum herum, Ermittlungen einzuleiten. Künftig wird so etwas nicht mehr passieren. Denn wer Filme und Fotos in Umlauf bringt, die sich über Polizeibeamte lustig machen, oder deren Sicherheit gefährden, muss ebenfalls mit 600.000 Euro Strafe rechnen.

Außerdem wird der Polizei das Recht eingeräumt, sporadisch Sicherheitszonen zu errichten, in denen Proteste untersagt werden. Wer dagegen verstößt wird ebenfalls mit 600.000 Euro bestraft. Dies richtet sich vor allem gegen Demonstrationen vor den Wohnungen oder Büros von Politiker, wie sie von den Betroffenen von Zwangsräumungen ihrer Wohnungen im Frühsommer durchgeführt wurden. Die Gerichte sahen damals keine Ordnungswidrigkeit in diesen Aktionen.

Wer den Ausweis nicht vorlegt, macht sich ebenfalls einer „sehr schweren Ordnungswidrigkeit“ schuldig. Und wer nicht mit dem Beamten zusammenarbeitet – sprich gewaltfreien Widerstand leistet – oder einen Polizisten beleidigt, bedroht oder es am Respekt fehlen lässt, muss 30.000 Euro auf den Tisch legen. Das tragen einer Kapuze kann zu einem ähnlich hohen Bussgeld führen.

Die Opposition und sozialen Bewegungen sprechen von einem „Gesetz gegen den 15-M“, die Bewegung der Empörten. „So etwas geschieht in Regimen, die alles andere als demokratisch sind“, erklärt die Sprecherin der sozialistischen PSOE, Soraya Ródriguez. Spanien sei auf dem Weg von einem „autoritären zu einem totalitären System“, fügt der Sprecher der Pluralistischen Linken, Joan Coscubiela, hinzu. Und die Sprecherin der Plattform der von Zwangsräumung Betroffenen (PAH), Ada Colau, beschwert sich: „Seit der Franco Diktatur haben wir so etwas nicht mehr erlebt.“ Die Regierung freilich sieht das anders. „Wir wollen nicht mehr, sondern besser bestrafen“, heißt es aus dem Innenministerium.

 

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Meine Meinung

Spanien auf dem Weg in die Diktatur

„Nicht mehr, sondern besser bestrafen“, heißt das Motto eines neuen Gesetzes zur Öffentlichen Ordnung. Es wird alles bestraft, was Richter bisher als legitimen Protest durchgehen ließen. Bußgelder von bis zu 600.000 Euro können verhängt werden. Die Bürgerrechte bleiben dabei weitgehend auf der Strecke. Und in der Hauptstadt sollen soziale Probleme ebenfalls mit Geldstrafen beseitigt werden. Wer auf der Straße schläft, Parkbänke für etwas anderes benutzt, als zum Sitzen, oder sich mit Straßenmusik etwas Kleingeld in der Krise verdienen möchte, darf künftig mit Strafzetteln von bis zu 750 Euro rechnen. Beschwert er sich, kann dies für Beleidigung oder Bedrohung des Polizisten gleich weitere 30.000 Euro einbringen.

Was Spanien derzeit durchlebt, ist die andere Seite der Stabilitätspolitik Europas. Alles wird plattgemacht. Der Sozialstaat, die erkämpften Rechte auf dem Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit … Solange die makroökonomischen Zahlen stimmen, beklatscht dies Brüssel und allen voran Kanzlerin Angela Merkel und ihr Wirtschaftsminister Wolfgang Schäuble. Spanien sei aus dem Gröbsten heraus, heißt es in den letzten Tagen immer öfter. Es gehe aufwärts mit Europa und dem Euro.

Zynismus, reiner Zynismus ist dies angesichts der gerne übersehene Entwicklungen unten, dort, wo die Menschen leben. Anders als die Banken, die in Spanien jubeln, dass das Geld wieder fließt, verarmen die Menschen. Über sechs Millionen Arbeitslose, zehntausend Zwangsräumungen von Wohnungen pro Monat sind nur zwei Eckdaten. Dass jetzt auch noch die Opfer dieser Politik und diejenigen, die dagegen protestieren mit aberwitzigen Bussgeldern belegt werden sollen, ist nur schwer in Worte zu fassen.

Das Diktat der Märkte, heißt eines der Schlagwörter auf den Demonstrationen. Es ist mehr als ein Diktat. Es ist der Weg in die Diktatur, den Spanien durchläuft. Sicher es fand kein Putsch statt und ein Parlament gibt es noch. Doch die Freiheiten spart sich Spanien. Und Brüssel schaut – wie übrigens bereits seit längerem in Ungarn – weg. Aus Angst vor der Meinung der Bürger – oder besser Untertanen – will und kann sich Europa die Demokratie wohl ganz einfach nicht mehr leisten. Eine Radikalisierung und eine zunehmende EU-Feindlichkeit ist damit vorprogrammiert.

Was bisher geschah: