© 2013 Reiner Wandler

Hingabe für den heiligen Krieg

Die Gerüchte hielten sich seit Monaten in der Presse. Doch jetzt ist es offiziell. Junge Tunesierinnen ziehen nach Syrien, um dort sexuelle Beziehungen mit den islamistischen Kämpfern aus dem Umfeld von Al Qaida zu unterhalten. „Sie kommen schwanger zurück, nachdem sie mit Dutzenden – ja fünfzig oder über hundert Dschihadisten sexuelle Beziehungen unterhalten haben“, erklärte Innenminister Lofti Ben Jeddou vergangenen Woche vor dem Parlament. Wie viele Frauen nach Syrien gereist sind, darüber schwieg sich der gemäßigte Islamist aus. Er will allerdings seit März diesen Jahres 6.000 junge Männer und Frauen am Flughafen von Tunis abgefangen haben, die auf dem Weg in die Türkei waren, um von dort nach Syrien weiterzureisen, um sich den radikalen Islamisten im Kampf gegen Diktator Baschar al-Assad anzuschließen.

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Unter dem Namen „Dschihad al Nikah“ – wörtlich „Heiliger Krieg der Ehe“ – geben salafistische Prediger dem Vorgehen der jungen Frauen einen islamischen Deckmantel. Die Frauen werden auf Zeit mit einem Kämpfer verheiratet und kurz nach vollzogenem Geschlechtsverkehr geschieden. Da Verhütungsmittel im radikalen Islamverständnis verboten sind, ist eine Schwangerschaft nur eine Frage der Zeit. Selbst in Tunesien soll es den „Dschihad al-Nikah“ geben. So hat die Polizei drei junge Frauen verhaftet, die versuchten zu den islamistischen Terrorzellen zu gelangen, die sich seit Monaten im unwegsamen Gebiet rund um Tunesien höchsten Berg Djebel Chaambi verschanzt halten.

In einem Fernsehinterview erzählte eine 20-jährigen Studentin – mit Namen Aischa und verpixeltem Gesicht – aus dem Mittelmeerbadeort Monastir wie die Netzwerke für die „islamisch korrekte Prostitution“ funktionieren. Eine ausländische Frau um die 40, habe an der Universität missioniert. Sie habe vom wahren Islam gesprochen, den Dschihad der Kämpfer in Syrien sowie die Selbstmordattentate gelobt. Sie sprach „von der Pflicht zu sterben, um die Religion zu retten und so ins Paradies zu gelangen.“ „Sie hat uns aufgefordert, den Ganzkörperschleier zu tragen, das Studium abzubrechen und stattdessen an ihrem kostenlosen Korankurs teilzunehmen“, erinnert sich Aischa. 18 junge Frauen, ein Teil von ihnen noch nicht einmal volljährig, stimmten zu.

Irgendwann schlug die Predigerin den jungen Frauen vor, am Krieg teilzunehmen. Zwei Rollen könnten sie dabei erfüllen, die einer Selbstmordattentäterin oder die der zeitlich begrenzten Ehefrau, „um den Soldaten an der Front Erleichterung zu verschaffen, und ihnen so Kraft zu geben, um den Feind besiegen zu können.“ Aischa willigte ein. Kurz bevor der geplanten Reise kamen ihr Zweifel. Sie vertraute sich ihrer Mutter an und blieb in Tunesien.

Hohe tunesische Geistliche, unter ihnen der Iman der Zitouna, der wichtigste Moschee des Landes, sowie ein ehemaliger Mufti, der oberste islamische Rechtsgelehrte, verurteilen die Praktik der Zeitehe als „nicht mit dem Islam vereinbar“. Das Frauenministerium hat einen Krisenstab eingesetzt. Am vergangenen Wochenende stellte das Ministerium einen Plan für eine Aufklärungskampagne an Schulen und Universitäten vor. Außerdem soll ein Programm für die Frauen aufgelegt werden, die schwanger zurückkommen. „Wir stellen eine Zunahme der Zahl der Frauen fest, die in den sogenannten Dschihad al-Nikah ziehen“, heißt es.

Tunesiens ist ein sehr traditionelles Land, indem alleinstehende Mütter sozial nicht akzeptiert sind, und das obwohl nach Schätzungen der Ärzte täglich in Tunesien im Schnitt vier aussereheliche Kinder zur Welt kommen. Die regierende islamistische Ennahda, der auch die Familienministerin angehört, sprach sich im Parlament gegen Programme für alleinstehende Mütter aus. „Sie dürfen keinen besonderen rechtlichen Schutz erfahren. Sie sind eine Schmach für die tunesische Gesellschaft“, hatte damals eine Abgeordnete verkündet. „Und jetzt?“ fragt die bekannte säkulare Bloggerin Lina Ben Mhenni im Facebook. „Sind die Frauen, die aus Syrien zurückkehren ganz normale alleinstehende Mütter oder sind es heilige Kämpferinnen? Werden sie geehrt und betreut, ihre Kinder beschützt? Oder werfen wir sie ins Meer?“

Was bisher geschah: