© 2013 Reiner Wandler

Austeritätspolitik scheitert am Verfassungsgericht

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Portugals konservative Regierung ist „bestürzt“ und „geschockt“. Am Freitag Abend veröffentlichte das Verfassungsgericht ein Urteil über das letzte Sparpaket im süd-west-europäischen Krisenland. Maßnahmen in Höhe von 1,25 Milliarden Euro eines Gesamtvolumens von 5,3 Milliarden für 2013 sind verfassungswidrig. Regierungschef Pedro Passos Coelho steht jetzt vor der schier unlösbaren Aufgabe diesen Betrag anderweitig einzusparen, um die gegenüber der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfond (IWF) eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Einen Plan B habe er nicht, gab der Chef der Sozialdemokratischen Partei (PSD) bereits vor dem Urteil auf einer parteiinternen Sitzung zu. „Die Regierung versucht die Quadratur des Kreises“, titelte die Tageszeitung Publico , während in der Hauptstadt Lissabon eine Krisensitzung nach der anderen einberufen wurde.

Die 13 obersten Richter haben mit ihrem Urteil einem Antrag der Opposition sowie von Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva – ebenfalls aus den Reihen der PSD – stattgegeben. Demnach sind vier Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung nicht verfassungskonform. Passos Coelho kann weder das 14. Monatsgehalt für Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst streichen, noch den Rentnern einen Teil ihrer Einkünfte nehmen, oder Arbeitslosengeld und Pflegezuschüsse besteuern. Dies stelle eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmer im öffentlichen und privaten Bereich dar. Sie würden ungleich für die Krise haftbar gemacht, begründet das Verfassungsgericht den Entscheid. Eine Steuererhöhung, die den Portugiesen rund einen Monatslohn kostet hingegen, akzeptierte das Gericht.

Das Urteil bereitet nicht nur in Lissabon Kopfzerbrechen. Die Troika hatte Portugal, das ein Rettungspaket von insgesamt 78 Milliarden Euro zugestanden bekommen hat, erst vor knapp einem Monat die Frist für die Haushaltskonsolidierung verlängert. Anstatt 2014 unter 3 Prozent Neuverschuldung zu liegen, muss dies erst 2015 der Fall sein. Derzeit hat Portugal noch ein Defizit von 6,4 Prozent. Um die Vorgaben für 2015 einzuhalten, müssen zusätzlich zu den jetzt fehlenden 1,3 Milliarden Euro weitere 4 Milliarden eingespart werden. Das wird – so gesteht die Regierung ein – nicht ohne tiefe Einschnitte auch bei Bildungs- und Gesundheitssystem gehen. Dank der Sparpolitik wird Portugals Wirtschaft ein weiteres Jahr um über zwei Prozent schrumpfen und die Arbeitslosigkeit von derzeit 17 Prozent auf über 18 Prozent steigen.

Passos Coelho rief am Samstag nachmittag eine Sondersitzung seines Kabinetts ein. Was dort beschlossen wurde, gab er nicht bekannt. „Die Regierung respektiert die Gerichtsentscheidung, aber warnt die Portugiesen vor den negativen Auswirkungen auf das Land“, erklärte der Regierungssprecher Luis Marques Guedes bevor sein Chef Passos Coelho zum Präsidentenpalast weitereilte.

Auch von der dortigen Sitzung drang nichts nach Aussen. Präsident Cavaco Silva zeigte sich allerdings überzeugt davon, dass die Regierung „über die Vorraussetzungen verfügt, um das demokratische Mandat, das ihr gegeben wurde, zu erfüllen.“ Er reagierte damit auf die Forderung von Opposition und Gewerkschaften nach einem Rücktritt der Regierung. Erst vergangenen Mittwoch hatte Passos Coelho dank der absoluten Mehrheit seiner Regierungskoalition aus PSD und Christdemokraten ein Misstrauensvotum im Parlament überstanden. In den vergangenen Monaten war es immer wieder zu Massenprotesten gegen den Sparhaushalt 2013 gekommen – zuletzt Anfang März anlässlich eines Kontrollbesuches der Troika in Lissabon.

Für Sonntag Abend war eine Ansprache des Ministerpräsidenten an die Nation geplant.

 

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Meine Meinung

Bye, bye Europe

Gestern noch Musterschüler – heute durchgefallen. Portugal ist am Ende. Nicht nur, dass das Verfassungsgericht einen Großteil der von der Troika aufdiktierten Sparmaßnahmen als verfassungswidrig einstuft, und neue Sparpakete kaum mehr zu schnüren sind, auch die Eckdaten der Wirtschaft sind ausser Kontrolle. Portugal rutscht immer tiefer in die Rezession. Eine Rückkehr auf die Finanzmärkte, wie der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble und mit ihm die Troika noch vor wenigen Monaten prophezeite wird es nicht geben. Portugal wird so zum Symbol für das Scheitern der Austeritätspolitik.

 Europa fällt auseinander. Die reichen Länder bewegen sich auf die Vollbeschäftigung zu, der Süden wird zur verbrannten Erde und einmal mehr zum reinen Lieferanten der Arbeitskräfte für Deutschland und seine unmittelbaren Nachbarn. Wer glaubt, dass die Politik aus Berlin und Brüssel Europa noch retten kann, liegt völlig falsch.

Die Menschen in Portugal aber auch in Griechenland, Zypern und Spanien vertrauen der EU längst nicht mehr. Nichts ist mehr sicher. Löhne und Sozialleistungen werden geopfert. Sparguthaben in Zypern und Spanien zur Rettung der Banken herangezogen.

War einst von Solidarität die Rede, um das Projekt Europa zu verkaufen, ist jetzt klar, dass diejenigen Recht hatten, die die Union als ein Projekt der Märkte geißelten. In guten Zeiten fielen Brosamen für den Süden ab, in schlechten Zeiten zeigt sich klar, wem Europa nützt. Der deutschen Wirtschaft und den deutschen Banken. Sie verdienten und spekulierten in den heutigen Krisenländern fleissig mit. Während ihre Kunden, die Banken und Sparkassen in Südeuropa bankrott gehen, hat die Austeritätspolitik „Made in Germany“ die Geldgeber aus Deutschland und Frankreich aus der Schusslinie genommen.

Eine Ausweg aus dieser Situation ist kaum noch vorstellbar. Das Geld, das nötig wäre, um den Süden wieder aufzubauen wurde, so absurd das klingen mag, dazu ausgegeben, die Länder dort im Dienste der Finanzwirtschaft totzusparen. Portugal zeigt: Die Sparpolitik hat den Süden über den Rand des Abgrundes geschoben. Die EU ist – auch wenn sie sich noch weiter dahinschleppt – längst Geschichte.

Was bisher geschah: