© 2013 Reiner Wandler

Tunesiens neuer Premier

Die islamistische Ennahda hat einen Nachfolger für den zurückgetretenen tunesischen Premier Hamadi Jebali bestimmt. Der bisherige Innenminister Ali Laarayedh soll binnen zweier Wochen eine neue Regierung zusammenstellen und für eine Mehrheit in der Verfassunggebenden Versammlung sorgen. Es ist kein leichter Job, der den 57-jährige Schiffbauingenieur erwartet. Denn Tunesien befindet sich nach dem tödlichen Attentat auf den Oppositionspolitiker Chokri Belaid in der schwersten Krise seit der Revolution von vor zwei Jahren. Jebali, der als moderat galt, war zurückgetreten, nachdem Ennahda seinen Plan eine unpolitische Expertenregierung zu bilden, um so die Lage nach dem Mord an Belaid zu beruhigen, abgelehnt hatte.

Ist Laarayedh „Falke“ oder „Taube“, fragen sich jetzt viele. Der Lebenslauf des Mannes der 1981 Ennahda mitbegründete, lässt beide Urteile zu. In einem Interview 1990 redete Laarayedh in seiner Funktion als Ennahda-Vorstandsmitglied gegen die Gleichstellung der Frau, die Familienplanung und gegen den Verkauf von Alkohol auch in Touristengebieten.
Ende der 2000er – nach 14 Jahren Haft – zehn davon in Isolation – war Laarayedh der Kontaktmann der illegalen Ennahda zum Rest der Opposition. Mit viel Dialogbereitschaft schmiedete er zusammen mit Sozialdemokraten und Kommunisten ein gemeinsames Bündnis gegen Diktator Ben Ali und für Menschenrechte. Laarayedh selbst war im Gefängnis gefoltert worden. Seine Frau, mit der er drei Kinder hat, wurde in Haft sexuell belästigt. Die Scherken Ben Alis filmten die Szenen, um Laarayedh unter Druck zu setzen.
Weite Teile der Opposition sehen in Laarayedh „keinen Kandidaten des Konsenses“. Sie werfen ihm vor, in seiner Funktion als Innenminister für mehrere schwere Polizeiaktionen gegen die Demonstrationsfreiheit verantwortlich zu sein. Letzten Dezember schickte er Sondereinheiten nach Siliana im Landesinneren. Diese schossen mit Schrotflinten auf Demonstrierende. Und bereits im April 2012 ließ Laarayedh eine friedliche Oppositionsdemonstration in Tunis zusammenknüppeln. Die Polizei ging gemeinsam mit den Ennahda-nahe Milizen der Liga zum Schutz der Revolution gegen die Protestierenden vor.
Nicht nur die Liga auch radikale Salafisten wurden unter Innenminister Laarayedh großzügig behandelt. Die Opposition wirft dem künftigen Premier vor, politische Gewalt gegen die Opposition zumindest zu geduldt, wenn nicht gar gefördert zu haben. Für Tunesiens säkulare Parteien und die Zivilgesellschaft ist das Attentat gegen Belaid Folge dieser Politik.
Laarayedh möchte dies jetzt vergessen machen und verspricht seine Regierung auf eine breite Basis zu stellen. „Ich hoffe, dass ich von den Tunesiern und Tunesierinnen, den Partien, der Wirtschaft, den Medien und der Welt der Kultur und den religiösen Vertretern gut empfangen werde“, sagte er am Freitag, kurz nachdem ihn Staatspräsident Moncef Marzouki offiziell mit der Regierungsbildung beauftragt hatte.

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