© 2012 Reiner Wandler

Merkels Musterschüler in Not

Das Motto unter dem ein Facebookbündnis seit Wochen in Portugal mobil, lässt keine Fragen offen: „Zum Teufel mit der Troika! Gibt uns unser Leben zurück!“ lautet es. Die Sparmaßnahmen, die die Bevölkerung des kleinen südwesteuropäischen Landes aufdiktiert bekommen, sind an die Grenzen des Erträglichen gestoßen. Doch das Ziel, das Haushaltsdefizit bis zum Jahresende auf die von der Europäischen Union (EU), dem Internationalen Währungsfond (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) geforderten 4,5 Prozent und bis Ende 2013 auf unter drei Prozent zu senken, wird auch so nicht erreicht. Das musste mittlerweile sogar die Troika erkennen und verlängert die Frist für den „Musterschüler“ um ein Jahr

Es muss noch mehr gespart werden, aber wo? Die Regierung des Konservativen Pedro Passos Coelho nimmt einen Anlauf nach dem anderen. Nach der Sommerpause sollte per Gesetz eine siebenprozentige Lohnsenkung durch Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge durchgedrückt werden. Die Gewerkschaften und besagtes Facebookbündnis brachten Hunderttausende auf die Straße. Das Vorhaben musste zurückgenommen werden. Die Portugiesen, die seit Beginn der Krise bis zu 40 Prozent ihrer Einkommen verloren haben, wollten diese Lohnsenkung einfach nicht mehr hinnehmen. Der monatliche Durchschnittslohn liegt noch bei 800 Euro.
Umgehend wurde ein neuer Plan entworfen und durchs Parlament gestimmt. Insgesamt werden 5,3 Milliarden Euro eingespart. 80 Prozent davon stammen aus neuen Steuereinnahmen. Um dies zu erreichen, reformierte Passos Coelho die Lohnsteuer. Statt bisher acht Stufen, wird es nur noch fünf Einkommensklassen geben, eine vier-prozentige Zusatzsteuer wird im kommenden Jahr eingeführt. Eine Familie mit zwei Kindern und zwei Einkommen von je 1.500 Euro zahlt damit künftig jährlich 2000 Euro mehr an Lohnsteuer. Hochgerechnet auf ein Jahr verlieren die meisten portugiesischen Beschäftigten rund einen Monatslohn.
Die 16 Perozent Arbeitslosen verlieren sechs Prozent ihrer Stütze. Rentner mit mehr als 1350 Euro pro Monat werden mit 3,5 Prozent Schwerbehinderte mit fünf Prozent zur Kasse gebeten. Schulen und Universitäten erhalten 6,5 Prozent weniger, das Gesundheitssystem muss gar auf knapp 20 Prozent verzichten.
Die Wartelisten für Operationen werden immer länger. Selbst Krebskranke sind davon betroffen. Die Selbstbeteiligung der Patienten wurde erhöht, Krankenhäuser privatisiert, Personal abgebaut. Manche Arzneimittel sind überhaupt nicht mehr zu bekommen. Viele, vorallem chronisch kranke Rentner, könne sich die Zuzahlung für ihre Medikamente nicht mehr leisten. Die Frühgeburtenrate nimmt mangels Vorsorge zu.
„Die Regierung hat bei den Maßnahmen großen Mut bewiesen“, lobte Merkel ihren konservativen Freund Passos Coelho im portugiesischen Staatsfernsehen RTP dennoch. Der portugiesische Ministerpräsident redet mittlerweile sogar von einer Staatsreform, „um die großen Ziele der Finanzstabilität zu erreichen“. Wie diese „Neugründung des Staates“ genau aussehen soll, darüber macht der Konservative keine Angaben.
Doch Gewerkschaften und Linke befürchten das Schlimmste. Passos Coelho wolle die soziale Errungenschaften, die seit dem Sturz der Diktatur durch die Nelkenrevolution im Jahre 1974 in der Verfassung verankert sind streichen. Selbst aus den Riehen der Regierungspartei PSD werden mittlerweile kritische Stimmen laut. „Was nutzt es uns, dem Bankrot zu entwischen, wenn danach alles tot ist“, fragt die ehemalige Finanzministerin und Pasos Coelhos Vorgängerin an der Spitze der PSD, Manuela Ferreira Leite.

Was bisher geschah: