© 2012 Reiner Wandler

Lohnsenkung per Dekret

Portugals Ministerpräsident Pedro Passos Coelho vermieste seinen Landsleuten eine mit Spannung erwartete Fußballnacht. Am Freitagabend trat der Konservative unmittelbar vor dem Länderspiel Portugal – Luxemburg vor die Fernsehkameras und gab eine neue Sparmaßnahme bekannt. Die Portugiesen werden künftig statt 11 Prozent 18 Prozent ihres Einkommenens an die Sozialversicherung abführen müssen. Gleichzeitig wird der Unternehmeranteil von 23,75 Prozent auf 18 Prozent gesenkt. „Die nationale Finanznotlage ist noch nicht zu Ende“, es bestehe noch immer die Gefahr, dass „alles aus der Bahn gerät“, begründete Passos Coelho die neuen Maßnahmen, die das Einkommen der Portugiesen erneut empfindlich senken wird.

Der Ministerpräsident warb um Verständnis und forderte seine Zuschauer zu einer „Anstrengung Aller“ auf, um das „gemeinsame Ziel“ zu erreichen. Portugal will, so hat es Lissabon gegenüber der Troika aus Europäischer Union (EU), Internationalem Währungsfond (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) im Gegenzug für eine Finanzhilfe von 78 Milliarden Euro versprochen, das Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf 4,5 Prozent und im kommenden Jahr auf drei Prozent zu senken.
Vor dem Sommer hatte das portugiesische Verfassungsgericht die Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld für Beamte als unrechtmässig erklärt und den Betroffenen eine der beiden Sonderzahlungen zugesprochen. Die Anhebung des Sozialversicherungsbeitrages soll dies jetzt ausgleichen.
Die Antwort der Gewerkschaften ließ nicht auf sich warten. „Ein Raub an den Arbeitern zugunsten der Unternehmer“, sieht die größte Arbeitnehmerorganisation des Landes, die CGTP, in der neuen Maßnahme und ruft zum „Widerstand“. „Schluss mit dem Sparkurs“, schimpft auch ein Sprecher der größten Oppositionspartei, der sozialistischen PS.
Die Lage im Land hat sich dramatisch verschlechtert, seit die Portugal im Mai 2011 unter den EU-Rettungsschirm schlupfen musste. Die öffentlichen Dienstleistungen werden ständig weniger. Wer zum Arzt oder ins Krankenhaus geht, muss zuzahlen. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind deutlich teurer geworden. Rentner mit einem Einkommen von mehr als 1000 Euro haben das Weihnachtsgeld eingebüßt, die Mehrwertsteuer wurde um fünf Prozent angehoben. Gleichzeitig werden die Anteile, die der Staat noch an großen Unternehmen, wie der Fluggesellschaft TAP oder dem Energieversorger EDP hält, privatisiert.
Die Auswirkungen der Sparpolitik lassen nicht auf sich warten. Portugal befindet sich in einer rasanten Abwärtsspirale. Die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich in nur drei Jahren auf knapp 16 Prozent. Die Investitionen gingen im zweiten Quartal diesen Jahres um 19 Prozent zurück, die Familien konsumieren 5,9 Prozent weniger und die gesamte Inlandsnachfrage sank um 7,6 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres. Portugals BIP wird 2012 um 3,3 Prozent zurück gehen. 2011 waren es 2,3 Prozent.
Diese Entwicklung hat wiederum Auswirkungen auf das Sparziel. Die Troika aus EU, IWF und EZB befürchtet, dass das Land auf der iberischen Halbinsel seine Zusagen nicht einhalten wird. Statt einem Defizit von 4,5 Prozent könnten es am Ende des Jahres mehr als 5,5 Prozent sein. Schuld daran sind die ständig sinkenden Steuereinnahmen.
Passos Coelho, dessen Sparpolitik von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Wolfgang Schäuble immer wieder als „vorbildlich“ gelobt wurde, muss sich von der Opposition vorwerfen lassen, gescheitert zu sein. „Wozu sind die ganzen Opfer und die Schmerzen gut, denen die Portugiesen ausgesetzt sind?“ fragt Oppositionsführer und PS-Chef António José Seguro.

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