© 2012 Reiner Wandler

Pokern mit hohem Einsatz

„Wir bereiten nichts vor, wir haben einen Fahrplan“, zeigt sich Spaniens Wirtschaftsminister Luis De Guindos unbeeindruckt von den Gerüchten, sein Land könne schon in kürzester Zeit unter den EU-Rettungsschirm schlupfen. Der Konservative, der bis zu deren Crash bei Lehman Brothers für die iberische Halbinsel zuständig war, machte gestern in Brüssel die Tour von Büro in Büro. „Ich habe keinerlei Intervention für das spanische Bankensystem besprochen“, beteuerte er danach. Genaue Pläne, wie er der Krise um Spaniens Finanzinstitute Herr werden will, werde es vor Mitte des Monats keine geben. Er wolle zuerst den Bericht des Internationalen Währungsfonds abwarten, dessen Emissäre diese Woche routinemäßig in Spanien weilen. Außerdem hat die Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy private, ausländische Beraterfirmen mit einem Bericht über den Zustand der Banken und Sparkassen beauftragt.
Dieser Schritt war nötig geworden, nachdem Anfang Mai das viertgrößte Finanzinstitut Bankia – ein Zusammenschluss aus sieben Sparkassen unter Leitung der hauptstädtischen Caja Madrid teilverstaatlicht werden musste. 4,5 Milliarden Euro kostete dies. Weitere 19 Milliarden könnten nötig sein, um Bankia wieder flott zu machen. Die restlichen Banken und Kassen, die ebenfalls unter toxischen Aktivposten aus der geplatzten Immobilienblase leiten, könnte je nach Schätzung zwischen 50 und 90 Milliarden kosten. Spanien hat das Geld dazu nicht. Und – so musste Finanzminister Cristóbal Montoro am Dienstag zugeben – den Betrag auf den Märkten aufzunehmen, ist ebenfalls keine Lösung. Denn die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen liegen seit mehr als einer Woche bei sechs Prozent und mehr.
Guter Rat scheint teuer. Denn die Regierung Rajoy will Spanien nicht unter den Rettungsschirm stellen. Das wäre das Eingeständnis eines völligen Scheiterns nach nur sechs Monaten im Amt. Neuwahlen könnten die Folge sein. Deshalb pokert Madrid mit hohem Einsatz. Rajoy will, dass Europa direkt Geld an die angeschlagenen Banken gibt, um diese vorbei am Staatshaushalt und damit vorbei an noch höherem Defizit und einem daraus resultierenden unerträglichen Sparzwang vergleichbar mit dem in Griechenland und Portugal zu retten. Das ganze hat zwei Probleme: Es bedarf einer Neudefinierung der Regeln, die bisher für die Rettungsmilliarden aus Brüssel gelten. Und Berlin leistet erbitterten Widerstand.
Doch Spanien hat gewichtige Argumente. Das Land ist mit 12 Prozent der Wirtschaftsleistung die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. „Die Gläubiger sind diejenigen, die am stärksten daran interessiert sind, dass in Spanien alles gut geht. Denn sie wollen die Schulden komplett wiederhaben“, warnte Montoro am vergangenen Freitag die internationalen Investoren.
Es mag nach Erpressung klingen, und an die Jahre der Regierung unter dem ebenfalls Konservativen José María Aznar erinnern, der Europa immer wieder mit einem Veto drohte, wenn er seine Interessen nicht durchsetzen konnte, doch es funktionierte damals und es könnte auch heute wieder funktionieren. Trotz des erneuten Nein zum direkten Hilfe für die Banken aus Berlin, muss Bundeskanzlerin Merkel einsehen, dass sie sich damit isolieren könnte.
Denn Frankreichs Präsident François Hollande kann der Idee seiner südlichen Nachbarn durchaus etwas abgewinnen. Er weiß: Stürzt Spanien, folgt Italien und nach Frankreich ist es dann nicht mehr weit. Die europäische Gerüchteküche hat bereits wine Kompromisslösung parat: Brüssel könnte Gelder an den spanischen Bankenrettungsfond FROB zahlen. Dies wäre eine nationale Institution, die dem spanischen Staat untersteht, doch das Land müsste nicht unter den Rettungsschirm. Alle könnten so ihr Gesicht wahren.
Die Anleger scheinen auf eine solche Lösung zu bauen. Die europäischen Börsen – Madrid inbegriffen – stiegen, und der Risikozuschlag für spanische Staatsanleihen fiel erstmals seit zehn Tagen wieder unter 500 Punkte.

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