© 2012 Reiner Wandler

Schubladen voller Rechnungen

Spaniens konservative Regierung tut alles, um ihre Glaubwürdigkeit zu schädigen. Nachdem die im November abgewählte sozialistische Regierung das Haushaltsdefizit 2011 auf sechs Prozent berechnete, korrigierte die neue konservative Regierung die Zahl Anfang des Jahres auf 8,5 Prozent und am vergangenen Freitag spät abends gar auf 8,9 Prozent nach oben. Schuld sind einmal mehr die Regionen. Sie hatten zum widerholten Male falsche Zahlen nach Madrid gemeldet.

Nachdem die Regierung von Mariano Rajoy vergangene Woche die Regionalhaushalte überprüfte, tauchten neue Löcher auf. Die größten Fehlbeträge stammen ausgerechnet aus der Mittelmeerregion Valencia und der Region rund um die Hauptstadt Madrid. Beide werden seit Jahren von den Rajoys konservativer Partido Popular (PP) regiert und galt diesem immer wieder als Beispiel „guter Verwaltungsarbeit“.
Jetzt werden mindestens vier Milliarden zusätzliche Einsparungen nötig, um die gegenüber Brüssel für Ende 2012 versprochenen 5,3 Prozent Defizit zu erreichen. „Wir setzten weiterhin auf die Kontrolle des Defizits“, erklärte Rajoy am Wochenende am Rande des NATO-Gipfels in Chicago dennoch. Wo er zusätzliche einsparen will ist nicht klar. Der Haushalt 2012 fällt um 27 Milliarden Euro niedriger aus als der von 2011. Und dieser war bereits das Ergebnis eines 15 Milliarden Sparpaketes. Zudem verordnet Madrid den Regionen für dieses Jahr Einsparungen von 10 Milliarden Euro im Bildungs- und Gesundheitswesen. Am Dienstag gehen deshalb überall im Land die Lehrer aller Schulen und Universitäten in den Ausstand. Schüler-, Studenten- und Elternverbände unterstützen den Streik.
In der Mittelmeerregion Valencia hat sich das eingestandene Defizit in nur drei Monaten verdreifacht. Statt der anfänglich erklärten 1,5 Prozent beläuft sich das Loch im Haushalt der konservativen Region auf 4,5 Prozent. Schuld sind Rechnungen in einer Gesamthöhe von über einer Milliarde Euro, die seit 2010 unbezahlt in irgendwelchen Schubladen schlummerten.
Ähnlich sieht es in Madrid. Hier brüstete sich die konservative Landesmutter Esperanza Aguirre, den gesündesten Haushalt aller spanischen Regionen zu haben. Auf nur 1,1 Prozent belaufe sich das Defizit und erfülle damit schon jetzt die von Rajoy geforderte 1,5 Prozent für 2012. Das war vor dem Freitag. Jetzt tauchten auch in Madrid unbezahlte Rechnungen für Hunderte von Millionen Euro auf. Das tatsächliche Defizit verdoppelt sich auf 2,2 Prozent.
Nach dieser Nachricht schaute am Montag alles gebannt auf die Zinsen für Staatsanleihen. Zwar schnellten sie nicht wie befürchtet in die Höhe, doch lagen sie einmal mehr zwischen 483 und 488 Punkten über den zehnjährigen Staatsanleihen Deutschlands und damit bei rund sechs Prozent. Ein Zinssatz, der Spaniens Staatsfinanzen mittelfristig unwägbar macht.
Hinzu kommt die Sorge um den Bankensektor. Seit der Verstaatlichung des Sparkassenzusammenschlusses Bankia rund um die hauptstädtische Caja Madrid reißen die Gerüchte nicht ab, Spaniens Finanzbranche müsse unter den EU-Rettungsschirm schlupfen. Denn alleine die Sanierung von Bankia wird mindestens 7,5 Milliarden Euro kosten. Der frischgewählte französische Präsident François Hollande erklärte, es sei „wünschenswert“, dass die Sanierung „mit Hilfe der europäischen Solidaritätsmechanismen bewerkstelligt werde“. Rajoy zeigte sich empört: „Logischerweise weiß Herr Hollande nicht, wie es um die spanischen Banken bestellt ist“, wetterte er. Spanien verfolge eine „Politik der Transparenz“, fügte er hinzu und empfahl „anderen, die gleichen Anstrengungen zu unternehmen“.

Was bisher geschah: